Über die Hälfte aller Deutschen bestellt mittlerweile online. Je nach Branche gehen aber bis zu 50 Prozent der versendeten Pakete als Retoure an den Versender zurück. Für diesen eine kostspielige Angelegenheit. So liegen die Bearbeitungskosten im Schnitt pro Rücklauf bei 19 Euro. Dessen betriebliche Durchlaufzeit beträgt bis zu einer Stunde: Die Rückabwicklung wird zur Kostenfalle; zum Fass ohne Boden. Eine Momentaufnahme.
Dieser Artikel ist zusammen mit Lucia Winsauer entstanden.
Die Bekleidungsbranche verzeichnet laut der Studie Retourenmanagement im Onlinehandel von ibi Research eine durchschnittliche Retouren-Quote von 26 Prozent. Der Online-Fashion-Shop Zalando gibt an, dass sogar knapp die Hälfte seiner beigelegten Retouren-Aufkleber genutzt werden. Wesentlich weniger Retouren weisen Branchen wie die Elektronik- oder Spielzeugbranche auf. Diese haben im Schnitt ein Retouren-Aufkommen von etwa 13 Prozent. „Die Online-Umsätze haben sich in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht. Die Shops werden zudem immer professioneller, einfacher zu bedienen; Onlineshopping passiert gemütlich auf der Couch. Doch die Wege, die ein Paket zurücklegt, bleiben gleich. Dem Kunden ist nicht bewusst, dass Hin- und Rückversand von über 1.000 Kilometern für ein paar Schuhe auch belastend für die Umwelt sowie für die Infrastruktur selbst sind“, äußert sich Mathias Thomas, Geschäftsführer der gaxsys GmbH, zur Herausforderung „Retoure“. Die dazugehörigen Facts und Figures haben wir für Sie im Artikel E-Commerce in Deutschland 2015 zusammengetragen.
Rückläufer unter zehn Euro wandern auf den Müll
Die Kunden hierzulande ordern eine Bestellung nach der anderen, entscheiden sich dann aber um: es gefällt nicht, es passt nicht, es soll doch etwas anderes sein. Und nicht nur das. In der retournierten Skihose steckt noch die Liftkarte, das Zelt kommt am Ende des Sommers wieder zurück; für retournierte Artikel fällt demnach häufig auch noch ein Wertverlust von mehr als 20 Prozent an. Klar, viele Artikel können auch nach der Retournierung wieder in den allgemeinen Warenfluss geführt und wiederverkauft werden. Minderwertige Retouren werden automatisch als B-Ware deklariert und reduziert an den Mann beziehungsweise an die Frau gebracht – das meiste wird also wiederverwertet. Hat die Ware beim Einkauf jedoch einen Wert unter zehn Euro, verzichten große Versandhäuser mittlerweile auf eine Wiedereingliederung. Die Ware wandert direkt auf den Müll.
Retouren: bis zu 100 Mitarbeiter, über 150.000 Euro Zusatzkosten
Aufgrund des hohen Retouren-Aufkommens haben Warenhäuser zusätzliche Abteilungen aus dem Boden gestampft, die ausschließlich diese Rückläufer abwickeln. Teilweise sind mit den Retouren sogar externe Dienstleister beauftragt.
Die Praxis:
Am Wareneingang werden die Retouren separat an einzelne Zonen verteilt, in denen sie anschließend geprüft und gegebenenfalls wieder aufgehübscht (gebügelt, neu verpackt) werden. Das kostet Zeit und somit auch viel Geld. „Ein Versandhaus mit einer Versandkapazität von bis zu 150.000 Artikeln am Tag beschäftigt etwa 100 Mitarbeiter nur für Rückabwicklungen. Bei einem Dreischichtbetrieb und einem Stundenlohn von etwa neun Euro, liegen die Personalkosten für Retouren bei bis zu 150.000 Euro pro Woche“, erklärt Matthias Grißmer, Projektleiter bei der Intralogistik-Softwareschmiede Dr. Thomas + Partner. Kosten für Maschinen und Verschleiß kommen noch obendrauf. „Am Ende können so gut und gerne eine Million Euro pro Monat zusätzliche Kosten anfallen.“
Und dennoch: Laut statista lag der Umsatz im E-Commerce 2014 bei 39 Milliarden Euro. Für große Unternehmen lohnt sich anscheinend das Geschäft trotz Retouren. Kleinere Unternehmen können allerdings nur schwer mithalten.
Aber warum ist der Warenrücklauf hierzulande überhaupt so hoch? Und wie können Händler dem Renditekiller „Retoure“ an den Kragen gehen?
Das Wohnzimmer wird zur Umkleidekabine
In der Fashion-Branche sind Auswahlkäufe üblich: Vier von zehn Kunden kalkulieren bereits beim Kauf die Rücksendung der Ware bewusst mit ein. So bestellen sie vier paar Schuhe in unterschiedlichen Größen und Farben. Vergleichbar ist dieses Verhalten mit dem Einkauf im stationären Handel; dort nimmt man für gewöhnlich auch verschiedene Teile gleichzeitig mit in die Umkleidekabine. In anderen Branchen wie der Elektronikbranche sind diese Auswahlkäufe eher unüblich. Oder haben Sie sich schon mal sieben TV-Geräte oder Musikanlagen bestellt und allesamt wieder retour gehen lassen?
Auch das Zahlungsverfahren spielt im E-Commerce eine wesentliche Rolle. Hat der Kunde die Möglichkeit unzählige Bestellungen zu tätigen und diese auf Rechnung zu bezahlen, ist das Retouren-Aufkommen deutlich höher als wenn die Bestellung per Sofort-Überweisung oder Nachname gezahlt, das Konto also direkt belastet wird.
Kostenpflichtige Retoure? Dann bestelle ich woanders!
Im Juni 2014 wurde die EU-Verbraucherrichtlinie 2011/83/EU verabschiedet, die besagt, dass Händler die Kosten für Retouren dem Kunden auferlegen dürfen. Eigentlich sollte diese Richtlinie der Retouren-Flut ein Ende bereiten. Doch Fakt ist: Die Kosten-Übernahme ist zu einem wichtigen Wettbewerbsfaktor unter den großen Online-Shops geworden. Laut einer Studie der Universität Bamberg würden zwar 81 Prozent der Händler die Retouren-Kosten gerne dem Kunden auferlegen, dieser zeigt sich aber unbeeindruckt; der Shop mit der kostenlosen Retoure ist nur wenige Klicks entfernt. „Wir sehen Retouren als Teil des Geschäftsmodells. Bei Versuchen hat sich gezeigt, dass Kunden weniger kaufen, wenn man ihnen Retouren erschwert“, zitiert rbb-online Zalando-Vorstandsmitglied Rubin Ritter. Zalando bleibt also bei dem Geschäftsmodell, Retouren mit in die Gewinnspanne einzukalkulieren. Und die kleinen Online-Händler? An dieser Stelle beißt sich die Katze in den Schwanz: Bietet man kostenlose Retouren an, steigt alleine der Personalaufwand um ein Vielfaches. Wälzt man dagegen den Mehraufwand auf den Kunden ab, wird sich der Kunde nach einem kostenfreundlichen Shop umschauen. Dieser Meinung ist auch Gerrit Heinemann, der Leiter des eWeb Research Centers der Hochschule Niederrhein: „Die vielen kleinen Anbieter haben kaum eine andere Wahl, als mitzuziehen. Wenn sie plötzlich Rücksendekosten erheben würden, dann gingen die Kunden erst recht zu Amazon und Co.“
Zwei Millionen Kilometer am Tag
Ich gebe zu, ich habe auch schon bei Zalando bestellt und etwas zurückgehen lassen. Wenn ich mir aber die gesamte CO₂-Bilanz des Online-Handels anschaue, wird mir schon etwas mulmig: So haben Forscher der Universität Bamberg errechnet, dass Retouren hierzulande jedes Jahr so viel Klimagift produzieren, wie 1.400 tägliche Autofahrten von Hamburg nach Moskau. Satte zwei Millionen Kilometer, pro Tag.
Dabei macht der Verbraucher im Grunde nichts falsch: Mit der oben genannten Richtlinie trat auch das neue Widerrufsrecht in Kraft. Ohne Angabe von Gründen hat der Kunde 14 Tage lang das Recht (zuvor waren es sieben), online gekaufte Ware zurück zu geben. „Diese Möglichkeit des Zurückschickens stellt in vielen Fällen die Voraussetzung dafür dar, dass der Kunde überhaupt Ware bestellt“, so Christina Türk in dem Artikel Retouren – häufigste Gründe dafür, was sie über das Widerrufsrecht wissen müssen. „Unterm Strich ist zu sagen, das Rückgabe-Recht bei Online-Käufen ist extrem kundenfreundlich – zu kundenfreundlich“, schreibt dazu der Bayerische Rundfunk.
Weniger Retouren durch bessere Produkt-Darstellung
Würden Sie sich Schuhe bestellen, bei denen ein qualitativ schlechtes Bild im Online-Shop zu sehen ist; womöglich sogar die ausführliche Beschreibung dazu fehlt? Je genauer ein Produkt gezeigt und beschrieben wird, desto weniger Gründe hat der Kunde, Auswahlbestellungen zu tätigen. Im Internet, in Fachzeitschriften, in Büchern; überall findet man Tipps, Tricks und vorgelebte Positiv-Beispiele. Vier mögliche Szenarios der Zukunft haben wir bereits unter die Lupe genommen.
Mathias Thomas von der gaxsys GmbH sieht noch eine andere Möglichkeit, Rücksendungen zu reduzieren: „Lieferzeiten und Qualität der Lieferung sind für den Kunden sehr wichtig. Eine rasche Lieferung, eine ordentliche Verpackung und eventuell ein kleines Give-away runden das Einkaufserlebnis für den Empfänger ab. Ein zufriedener Kunde retourniert weniger.“ Dennoch: „Auch bei den besten Produktbeschreibungen können Fragen auftauchen, bleiben diese für den Kunden ungeklärt, bestellt er womöglich gar nicht“, äußert sich Alexander Köhler gegenüber dem Online-Magazin eCommerce Lounge zum Thema Retouren und Kundenservice. Der Artikel aus dem Jahr 2011 zeigt zudem, dass die Herausforderung Retoure nicht erst seit „gestern“ thematisiert wird.
Eine weitere Maßnahme Rückläufer langfristig zu reduzieren ist eine Auswertung der Ursachen. Warum wurde die Ware zurückgeschickt, welche Informationen haben gefehlt, was lässt sich für den Kunden optimieren? Anhand von Umfragen zum getätigten Kauf oder mittels Auswertung von Kundenbewertungen ist der Händler in der Lage, seinen Shop und dessen Details kundennah anzupassen – sich demnach eine individuelle Onlinestrategie zu überlegen. Aber auch die Händlerintegration, also die Einbindung der lokalen und städtischen Geschäfte in den E-Commerce, kann dazu beitragen, dass Produkte nicht um den halben Globus geschickt werden.
Beispiele haben gezeigt, dass sich die Retouren-Quote tatsächlich senken lässt, wenn man oben genannte Möglichkeiten berücksichtigt. Meines Erachtens wird es aber, zumindest in der Fashion-Branche, nach wie vor bei der Kostenfalle „Rückabwicklung“ bleiben. Die Möglichkeit, das Shopping-Erlebnis auf der heimischen Couch virtuell erleben zu dürfen hat einfach was, oder?
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