Automatisierung wird im Business Process Management (BPM) eingeführt, um die Effizienz zu steigern und Kosten zu reduzieren. Welche Rolle die sozialen und ethischen Folgen bei der Frage spielt, ob Prozesse automatisiert werden oder nicht, untersuchte eine Forschungsgruppe der TU München am Campus Heilbronn. Das Ergebnis: Entfremdung und Entpersonalisierung werden als Langzeitfolgen unterschätzt.
Der technologische Fortschritt eröffnet immer neue Automatisierungsmöglichkeiten und verändert den Arbeitsalltag vieler Menschen nachhaltig – von der Arbeitserleichterung durch das Wegfallen stupider Aufgaben über die Verdichtung der kreativen Aufgaben bis hin zum Arbeitsplatzverlust. Besonders im Geschäftsprozessmanagement (Business Process Management, kurz BPM), der systematischen Gestaltung, Analyse, Steuerung und Verbesserung von Geschäftsprozessen innerhalb einer Organisation, ist Automatisierung derzeit eine beliebte Maßnahme. Eine wissenschaftliche Studie der TUM Campus Heilbronn gemeinsam mit dem Weizenbaum-Institut und der Humboldt-Universität zu Berlin analysierte, wie Automatisierungsinitiativen im BPM gerechtfertigt und durchgeführt werden. Dafür identifiziert sie die zugrunde liegenden Beweggründe mithilfe der Kritischen Theorie.
Die Bedeutung der Automatisierung im BPM
Automatisierung im BPM umfasst die Übertragung zuvor manuell ausgeführter Aufgaben auf Maschinen oder Software. Ziel ist es in der Regel, Effizienz und Produktivität zu steigern sowie Kosten zu senken. In der Praxis lassen sich zwei Hauptformen der Automatisierung von Geschäftsprozessen unterscheiden:
Prozessflussautomatisierung:
Hierbei handelt es sich um die Automatisierung des Prozessablaufs selbst. Softwarelösungen treffen Entscheidungen, zum Beispiel darüber, welche Aufgabe als Nächstes ausgeführt werden soll. Durch die Automatisierung von Prozessflüssen können Geschäftsprozesse beschleunigt und die Effizienz der Abläufe gesteigert werden.
Aufgabenautomatisierung:
In diesem Fall wird eine spezifische Aufgabe innerhalb eines Prozesses automatisiert, zum Beispiel die Dateneingabe, Datenanalyse oder der Versand von Dokumenten. Durch die Entlastung menschlicher Mitarbeitenden bei wiederkehrenden Tätigkeiten bietet die Aufgabenautomatisierung insbesondere Potenzial zur Fehlerreduktion und zur Beschleunigung von Teilprozessen.
Praxisbeispiele als Untersuchungsmaterial
Das Automatisierungspotenzial im BPM ist groß – da stellt sich die Frage, welche Beweggründe konkret hinter den Entscheidungen in Unternehmen stecken. Mutmaßungen, dass Effizienzsteigerung und Kosteneinsparungen die Hauptinteressen sind, liegen nahe. Um das in der Praxis zu untersuchen, wurden Fallstudien identifiziert, die Automatisierungsprojekte im BPM beschreiben, und deren Rechtfertigung sowie deren Durchführung analysiert. Die so gewonnenen Daten erlauben es, ein umfassendes Bild darüber zu zeichnen, warum in Unternehmen Automatisierungsprojekte umgesetzt werden, und welche Argumentationsmuster dominieren.
Die Kritische Theorie in der Automatisierung
Um die Motivationen der Automatisierung im BPM umfassender zu beleuchten, greifen die Autor:innen auf die Kritische Theorie und das Konzept der Rationalität zurück – eine sozialphilosophische Richtung, die sich mit der Analyse und Kritik der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen befasst. Sie untersucht insbesondere, wie ökonomische und technologische Rationalitäten sich auf die menschliche Autonomie auswirken. Im Kontext der Automatisierung bezeichnet Rationalität die zugrunde liegenden Denk- und Entscheidungslogiken, die Menschen bei der Gestaltung und Bewertung von Handlungen, Technologien und Prozessen leiten – kurz: die Beweggründe zur Automatisierung von Prozessen.
Beweggründe für die Automatisierung
Da die Automatisierung nicht nur den Arbeitsmarkt verändert, sondern in Folge auch gesamtgesellschaftliche Auswirkungen hat, bietet die Kritische Theorie ein nützliches Rahmenwerk zur Analyse. Die folgenden Beweggründe stehen für die Automatisierung im BPM im Fokus:
Formal:
Hier geht es um Effizienzsteigerung und technische Optimierung. Prozesse und Entscheidungen werden darauf ausgelegt, bestimmte Ziele möglichst effizient zu erreichen, wobei vor allem wirtschaftliche und technische Faktoren eine Rolle spielen.
Substanziell:
Hier werden soziale Werte und ethische Normen in die Entscheidungsfindung einbezogen. Bei der substanziellen Rationalität steht die Frage im Vordergrund, ob ein Prozess nicht nur effizient, sondern auch gerecht und im Einklang mit kollektiven Interessen gestaltet ist.
Kommunikativ:
Hier wird auf Dialog und Konsensbildung gesetzt. Anstatt Entscheidungen ausschließlich auf technokratischen oder wirtschaftlichen Prinzipien zu basieren, wird Wert auf eine gemeinsame Verständigung aller Beteiligten gelegt.
Die Risiken von Automatisierung im BPM
Die meisten Automatisierungsinitiativen im BPM streben primär Leistungsverbesserungen an und richten sich somit vorwiegend nach formalen Beweggründen, also der Logik der Mittel-Zweck-Optimierung. Die Risiken, die mit einer solchen einseitigen Betrachtungsweise verbunden sind, werden hingegen nur selten diskutiert. Mögliche negative Effekte umfassen unter anderem:
Entfremdung:
Durch die Automatisierung werden Arbeitsaufgaben standardisiert und routinisiert. Dies kann zu einem Gefühl der Entfremdung bei den Beschäftigten führen, da ihre kreative und intellektuelle Beteiligung am Arbeitsprozess abnimmt. Die Arbeit wird weniger als Ausdruck ihrer selbst empfunden und mehr als Mittel zum Zweck, also zum Lebensunterhalt.
Entpersonalisierung:
Automatisierung kann die Interaktion zwischen Menschen in Prozessen reduzieren, was vor allem in Dienstleistungsbranchen zu einem Verlust der persönlichen Note führen kann. Soziale Verbindungen und menschliche Interaktion, die oft einen erheblichen Einfluss auf die Zufriedenheit und Selbstbestimmung aller Beteiligten – beispielsweise Mitarbeiter:innen und Kund:innen haben, werden durch standardisierte, automatisierte Prozesse ersetzt.
Effizienz um jeden Preis: Soziale Folgen bleiben unberücksichtigt
Die Untersuchung zeigt, dass die meisten Automatisierungsinitiativen auf formale Beweggründe ausgerichtet sind. In den analysierten Fallstudien lag der Schwerpunkt zumeist auf Effizienzsteigerungen und Leistungskennzahlen. Soziale und ethische Fragen werden selten berücksichtigt, was darauf hinweist, dass der Automatisierungsdiskurs stark technisch und ökonomisch geprägt ist. Die fehlende Berücksichtigung substanzieller und kommunikativer Beweggründe birgt die Gefahr, dass negative soziale Folgen wie Entfremdung und Entpersonalisierung nicht ausreichend adressiert werden. Die Mitarbeiter:innen und ihre Bedürfnisse werden bei Automatisierungsentscheidungen vernachlässigt, ohne mögliche Langzeitfolgen für das Unternehmen und den Arbeitsmarkt zu reflektieren.
Psychologische Folgen für Individuen kaum beachtet
Auch die Psychologie beschäftigt sich mit der Automatisierung, und warnt vor Folgen für individuelle Mitarbeiter:innen: Automatisierung kann unter anderem dazu führen, dass Mitarbeiter:innen Fertigkeiten, die von automatisierten Systemen übernommen werden, verlernen, oder der Automatisierungslösung zu stark vertrauen und das System mit der Zeit nur noch oberflächlich kontrollieren. Das kann in unvorhersehbaren Situationen, zu Ausfällen und inadäquaten Reaktionen der Mitarbeiter:innen führen. Mögliche Konsequenzen können auch sein, dass sich Mitarbeiter:innen durch das permanente Überwachen der Automatisierung einer gestiegenen Arbeitslast gegenübersehen, oder sich schlicht langweilen, da für sie interessante oder erfüllende Arbeitsschritte nicht mehr von ihnen auszuführen sind. Auch in Bezug auf diese individualpsychologischen Folgen von Automatisierung hat die Untersuchung gezeigt, dass diese in Fallstudien kaum als mögliche Risiken besprochen und berücksichtig werden.
Kritische Auseinandersetzung notwendig
Die Forschungsgruppe konnte aufzeigen, dass der Diskurs über Automatisierung im BPM eine stärkere Berücksichtigung sozialer, psychologischer und ethischer Fragen erfordert. Bisher sind Entscheider:innen zu stark auf Leistungskennzahlen fokussiert, statt das große Ganze zu betrachten. Ein neuer Blickwinkel kann dazu beitragen, dass Automatisierungsprojekte nicht nur ökonomisch, sondern auch gesellschaftlich nachhaltig gestaltet werden. Denn nur durch eine Balance zwischen technischer Effizienz und sozialer Verantwortung können Unternehmen und Gesellschaft den vollen Nutzen der Automatisierung ausschöpfen und deren Risiken kontrollieren.