Kündigungen rechtzeitig erkennen, Mitarbeiter vor Burnout bewahren und die besten Talente vor den Mitbewerbern entdecken – Big HR Data löst diese Aufgaben für das Personalmanagement.
Die Digitalisierung revolutioniert die Arbeitswelt und öffnet dem Personalmanagement neue Möglichkeiten. Active Sourcing, Big HR Data und Data Predictive sind die Keywords, von denen die Beschäftigten nicht viel mitbekommen. Sie liefern aber durch ihre Arbeit und ihre Bewegungen in den Sozialen Netzwerken – bewusst und unbewusst – enorme Datenmengen, die zu einem wertvollen Arbeitswerkzeug der Personaler werden.
„Mithilfe neuer Technologien wie Cognitive Computing, selbstlernenden Systemen und Echtzeit-Datenbanksystemen lassen sich solche Daten nun effizient entschlüsseln“, sagt Sven Semet, Senior Account Executive bei IBM Smarter Workforce dem Fachmagazin Personalführung. Diese Erkenntnisse seien nützlich beim Finden der Talente, bei ihrem optimalen Einsatz im Unternehmen, ihrer individuellen Förderung und auch dabei, sie in wettbewerbsintensiven Zeiten im Unternehmen zu halten. Im Idealfall kommt es also nicht mehr darauf an, Bewerbungen abzuwarten. „Ziel ist es, Talente abzuwerben, bevor andere Unternehmen auf die Kandidaten aufmerksam werden können“, erklärt Semet das Prinzip des Direct Sourcing.
Sind Computer die besseren Headhunter? Dieser Frage versucht auch Andreas Dittes von Talentwunder auf den Grund zu gehen. Der Algorithmus des Startups mit Standorten in Berlin und Karlsruhe durchsucht die Business-Netzwerke LinkedIn und Xing, aber auch Communities wie die Developer-Plattformen GitHub oder Stack Overflow. Jeder Account wird zu einem potenziellen Bewerber und einer Datei, deren Informationsgehalt ständig aktualisiert und gegen andere gewichtet wird. Unternehmen, die auf der Suche nach einem Spezialisten sind, finden so geeignete Kandidaten. Zusätzlich berechnet Talentwunder, wie wahrscheinlich es ist, dass diese Personen einen neuen Job überhaupt annehmen. „Wir sehen eine große Relation zwischen Leuten, die ihr Profilfoto updaten und offen sind für einen neuen Job“, erläutert Dittes.
Persönlichkeitsprofile durch Sprachanalyse
Aber auch beim klassischen Recruiting helfen moderne Softwarelösungen. Sie gewährleisten ein frühestmögliches Matching zwischen Bewerber und ausgeschriebener Stelle. Die HR-Software beim Pharmaunternehmen Novartis beispielsweise analysiert die Bewerbungen, zeigt die geforderten Skills anhand der Bewerbungsunterlagen auf und macht sie vergleichbar – unabhängig von Format und Struktur. Weiterer Vorteil: Die Software analysiert, wie Bewerber mit dem Portal interagieren und holt Feedback zur Optimierung des Prozesses ein.
Ein weiterer Trend im digitalisierten Personalmanagement ist Predicitive Analytics. Das Münchener Start-up SOMA Analytics beispielsweise hat ein Programm zur Stärkung der psychologischen Widerstandsfähigkeit der Beschäftigten entwickelt. Um Burnout und Depressionen vorzubeugen, misst eine App Parameter wie Stimmhöhe, Schlafqualität und Motorik der Nutzer. Das Aachener Startup Psyware fokussiert auf hohe Automation bei psychologischer und linguistischer Sprachanalyse. Die Technologie analysiert beispielsweise Telefongespräche auf Satzbau und die häufige Nutzung bestimmter Wörter, um daraus Informationen über die Persönlichkeit, die kommunikativen Eigenschaften und Verhaltenstendenzen eines (potenziellen) Mitarbeiters abzuleiten.
Auch beim Thema Kündigung beziehungsweise bevorstehende Kündigung kann die HR-Abteilung von Big Data profitieren. Schaut man sich an, wer das Unternehmen in der Vergangenheit verlassen hat, lässt sich daraus ein Profil erstellen. Zum Beispiel: Wie alt waren die Personen? Wie lange waren sie im Unternehmen? Welche Ausbildung und Position hatten sie? Daraus ergibt sich ein Raster, das auf Mitarbeiter mit ähnlichem Profil angewendet werden kann. Man kann diese daraufhin ansprechen und möglichen Kündigungen entgegenwirken und Mitarbeiter präventiv an das Unternehmen binden.
Arbeitgeber macht sich unter Umständen strafbar
Bei allen Vorteilen, die die Datensammlung mit sich bringt, gilt es, den Datenschutz nicht außer acht zu lassen. „Einerseits muss das Unternehmen für Compliance sorgen, andererseits darf sich der Betrieb nicht zu einem Überwachungsstaat im Kleinen entwickeln“, sagt Wolfgang Däubler, Professor für Arbeitsrecht an der Universität Bremen dem Fachmagazin Personalführung. So wäre es nicht mit dem Persönlichkeitsschutz vereinbar, wenn der Betrieb seine Lagerarbeiter mit einer Videokamera überwacht. „Der Einzelne würde zum Beobachtungsobjekt“, so Däubler. Einen Mitarbeiter zum Gespräch zu bitten, weil er auffällig oft auf Jobportalen surft, mag sich in der Theorie richtig anhören, verstößt aber ebenfalls gegen Datenschutzbestimmungen. Besonders schwer wiegt der Eingriff, wenn der Arbeitgeber die private Nutzung von E-Mail und Internet gestattet. Dann „wird er nach herrschender Auffassung zum Telekommunikationsunternehmer. Wenn er oder seine Mitarbeiter dann ohne Rechtfertigung Telefongespräche abhören oder die Nutzung des Internets überwachen, machen sie sich nach Paragraf 206 Strafgesetzbuch strafbar“, erklärt Däubler.
Die Beispiele zeigen, dass sich Unternehmen vor der Einführung von Big HR Data intensiv mit Datenschutz und Mitbestimmung auseinandersetzen müssen. Einer aktuellen Trendstudie zufolge nutzen aktuell rund 15 Prozent der Unternehmen Big-Data-Ansätze für das Personalmanagement, insbesondere bei der Personalauswahl und -entwicklung. Als Hinderungsgründe nannten die Teilnehmer insbesondere fehlendes Personal mit entsprechenden Kompetenzen, das Fehlen von nötigen Tools und die geringen Budgets. Eine Sorge ist aber sicher unbegründet. Auch in Zukunft wird es nicht ohne erfahrene Personalmanager gehen. „Aber HR-Software mit entsprechenden Analysefähigkeiten kann diesen eine gute Datengrundlage für ihre Arbeit liefern und dadurch sowohl ihnen die Erfüllung ihrer Aufgaben erleichtern als auch den Mitarbeitern bessere Karrierechancen und mehr Einfluss ermöglichen“, resümiert Sven Semet.