Wer ein eindrucksvolles Bild von den Anfängen der Informatik erhaschen will, wird im ZKM (Zentrum für Kunst und Medien) ind Karlsruhe fündig. Der im Jahr 1957 von Computer-Pionier Konrad Zuse entwickelte denkmalgeschützte Röhrenrechner Z 22 war eine Weiterentwicklung des ersten funktionsfähigen Zuse-Rechners Z 1 und ist als Teil der umfangreichen Sammlung des Medienmuseums derzeit in der Ausstellung „Writing the history of the future“ zu sehen.
Zwölf Jahre nach dem Bau des Z 22 schlug dann auch die damalige Universität Karlsruhe mit der offiziellen Einführung des Studiengangs Informatik ein neues Kapitel in ihrer langjährigen Geschichte auf.
„Erst heute sieht man, was man alles erreicht hat. Und man hat viel erreicht“, sagt der mittlerweile emeritierten Professor Gerhard Goos, einer der Mitbegründer des damaligen Studiengangs, anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des Studienfachs Informatik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Allerdings habe sich in den vergangenen fünf Jahrzehnten sehr viel verändert und die heutige Informatik sei eine andere, als die im Wintersemester 1969/70.
Die Anfänge der Informatik
Geprägt wurde der Begriff Informatik durch den Informationstheoretiker Karl Steinbuch, der bereits 1958 für die Leitung des Instituts für Nachrichtenverarbeitung- und übertragung an die damaligen Technischen Hochschule Karlsruhe, der Vorgängereinrichtung von Uni und KIT, berufen wurde. „Der erste Studiengang Informatik wurde überraschenderweise aber woanders aus der Taufe gehoben“, sagt der 81-jährige Goos. Nämlich als zweijähriger Studiengang Automation am Institut für Automation und Unternehmensforschung im schweizerischen Freiburg an der Saane. „In Deutschland ist dieser Studiengang lange Zeit nicht bemerkt worden“, so Goos weiter.
In den frühen 1960er Jahren sprach eine Gruppe von Mathematikern dann aber Empfehlungen für einen Studiengang zur Anwendung von mathematischen Verfahren aus. „Und das Grundstudium in der Informatik besteht im Wesentlichen immer noch aus diesen Empfehlungen“, so Goos. Nachteil an der Geschichte sei allerdings, dass die Mitglieder der Gruppe um den Informatik-Pionier Friedrich L. Bauer von Haus aus numerische Mathematiker waren und Rechner hauptsächlich zur Lösung von physikalischen Problemen ansahen. „Berechnungen für andere Bereiche wie die Wirtschaft wurden damals noch komplett vernachlässigt“, erinnert Goos an die Anfänge der Informatik in Deutschland. Was außer Berechnungen mit Computern noch alles gemacht werden kann, sei damals ebenfalls noch nicht erkannt worden.
München, Darmstadt, Karlsruhe
Bereits 1967 wurde in München mit dem Kurs zur „Einführung in die Informationsverarbeitung“ eine erste Vorlesung zur Informatik gehalten. Zum Wintersemester 1968/69 wurde dann an der Technischen Hochschule Darmstadt ein Studiengang für Datentechnik angeboten. 1969 schwappte die Informatikwelle über die Fachhochschule Furtwangen zu Beginn des Wintersemesters 1969/70 auch nach Karlsruhe über (zeitgleich wurde auch in Saarbrücken eine erste Informatik-Vorlesung angeboten). „In Darmstadt und Saarbrücken haben sich die Leute aber über die Ausrichtung der Informatik gestritten“, erinnert sich Goos.
Davon habe am Ende dann die Informatik in Karlsruhe profitiert, denn einige der besten Studierenden seien in den Anfangsjahren aus Darmstadt oder Saarbrücken in die Fächerstadt gewechselt. Außerdem hätten die Initiatoren des Informatik-Studiengangs mit einigen Tricks auch die besten Wissenschaftler für die Weiterentwicklung von Forschung und Lehre angeworben, erinnert sich Goos an die Gründung der Informatik-Fakultät im Jahr 1972.
„Rechner ist ein Vollidiot“
Trotz der Aufbruchsstimmung wurden laut Goos von den meisten Universitäten aber nur wenige Fachthemen besetzt. Künstliche Intelligenz oder Software-Engineering fehlten in den Anfangsjahren ebenso in der Lehre wie Komplexitätstheorie, Robotik oder IT-Sicherheit. „Diese Themen hatten aus Sicht der Kerninformatiker schlichtweg nur wenig Relevanz. Die Karlsruher waren deshalb fast schon eine Ausnahme. Hier hat die Informatik nämlich von Anfang an mit Elektrotechnik und Maschinenbau zusammengearbeitet und diese Früchte kann man bis heute ernten“, betont Goos.
Heute gebe es auf technischer Ebene mehrere Rechenparadigmen wie zelluläre Automaten, künstliche neuronale Netze und in naher Zukunft vielleicht auch Quantenrechner. Mit den aktuellen Algorithmen könnten rund 98 Prozent der anfallenden Fragen richtig beantwortet werden. „Selbst Google hat die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen“, betont Goos, und auch beim autonomen Fahren werde es künftig durch Rechenfehler verursachte Unfälle geben. „Ein Rechner ist ein Vollidiot mit Spezialbegabung“, sagte Goos bereits 1962, und dieser Satz hat nach Ansicht des emeritierten Professors bis heute nichts an seiner Richtigkeit verloren. Deshalb müssten die Menschen die Rechner auch weiterhin verbessern und so programmieren, dass sie „vernünftige Sachen“ machen. In Zeiten von medialer Dauerbeschallung fordert Goos wieder eine Rückbesinnung auf die ursprünglichen Tugenden der Informatik. „Korrektheit muss vor Schnelligkeit stehen“, appelliert Goos.
Den Alltag erobert
Auch für Bernhard Beckert, Dekan der Informatik-Fakultät am KIT, hat sich in den vergangenen fünf Jahrzehnten sehr viel verändert. „Heute ist der Alltag ohne Informatik nicht mehr vorstellbar“, betont Beckert. Ohne Anwendungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz oder des maschinellen Lernens könnten viele neue technischen Errungenschaften nicht zum Laufen bekommen werden. Eine Herausforderung stellt für Beckert vor allem das Ansehen der Digitalisierung in der Gesellschaft dar. Zur Verbesserung der öffentlichen Wahrnehmung wurde am KIT deshalb auch das Lehramtsstudium Informatik eingerichtet. Dadurch werden an einer der ältesten Informatik-Fakultäten in Deutschland bereits heute die Informatik-Lehrer von morgen ausgebildet.