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Digitalisierung wird zunehmend auch im Schulalltag ein Thema, doch Online-Lernplattformen und Tablets im Unterricht bereiten unsere Schüler nicht auf die Arbeitswelt der Zukunft vor. Was es braucht, ist vielmehr ein radikaler Wandel des gesamten Bildungssystems, der unsere Schüler den Maschinen und Algorithmen der Zukunft überlegen macht.

„Das Ende der Kreidezeit“

Enthusiastisch verkünden Bildungspolitiker und Kultusministerien die Fortschritte bei der Digitalisierung im Bildungswesen: immer mehr Technologien halten in deutschen Klassenzimmer Einzug und beenden so das Zeitalter der Tafelkreide. Baden-Württemberg etwa setzt mit der Onlineplattform ELLA auf digitalisierte Lerninhalte und cloudbasierten Datenaustausch. Doch nun zeigt sich, das Projekt ist technisch nicht umsetzbar und wird vielleicht sogar ganz eingestampft.

Welchen Mehrwert eine solche Plattform schaffen würde, bleibt ohnehin schleierhaft, denn schon heute informieren sich Schülerinnen und Schüler über Online-Tutorials, halten Referate auf Basis von Wikipedia-Artikeln oder organisieren sich in WhatsApp-Lerngruppen. Lehrer und Kultusverwaltungen scheitern also noch daran, Technologien bereitzustellen, die Schülerinnen und Schüler im Privaten ohnehin bereits täglich nutzen. So nutzen laut einer Studie beispielsweise 73 % der 9-Klässler mindestens einmal täglich einen PC zuhause, während nur 1 % der befragten Schülern angibt, täglich in der Schule mit einem PC zu arbeiten.

Technologien alleine nicht entscheidend

Doch je mehr Technologien das Lehren und Lernen begleiten, desto weniger wird die Struktur des Bildungssystems hinterfragt. Dabei stecken gerade hier Hemmschuhe für eine erfolgreiche gesellschaftliche Zukunftsausrichtung. Seit Einführung von Regelschulen im 19. Jahrhundert hat sich im Bildungswesen recht wenig verändert. Noch immer werden bis zu 30 Kinder und Jugendliche von einer Lehrkraft betreut und lernen nach vordefinierten Lehrplänen, mit dem einzigen Ziel, gute Noten zu erhalten. Raum für Kreativität und freie Entfaltung von individuellen Talenten und Persönlichkeiten wird – wenn überhaupt – nur in offen gestalteten Gruppen- oder Projektarbeiten gegeben.

Und nach wie vor läuft es für die meisten darauf hinaus, in kürzester Zeit möglichst viel vorgegebenes Wissen zu verinnerlichen, das regelmäßig in Prüfungen abgefragt wird. Vielleicht wird es einfacher, den Stoff zu lernen, wenn interaktive Whiteboards verwendet werden, aber das Grundproblem, dass Kinder zu wenig aus eigener Erfahrung und Motivation heraus lernen und häufig nur Lehrbuchwissen reproduzieren, bleibt auch in einer „Smart School“ bestehen.
Daher stellt sich die Frage, ob diese neuen Formen des Lernens, die zurzeit ohnehin noch nicht flächendeckend ankommen, Kinder und Jugendliche auf das (Berufs-)leben in 20 oder 30 Jahren vorbereiten. Es kann nur gemutmaßt werden, welche Fähigkeiten dann gebraucht und nachgefragt werden. Sicher ist aber, dass in Zukunft viele Berufe und Tätigkeiten wegfallen, da Künstliche Intelligenz, Algorithmen und vernetzte Roboter schon heute in vielen Bereichen effizienter arbeiten als Menschen.

Gerade Routinetätigkeiten werden mit großer Sicherheit wegfallen. Auch wenn gleichzeitig durch die Digitalisierung neue Berufe entstehen und Menschen in anderen heute noch nicht vorstellbaren Bereichen Arbeit finden, so kann man sich noch nicht sicher sein, dass es ausgerechnet Informatiker und Ingenieure sein werden, nach denen zukünftige Arbeitsmärkte verlangen. Um eine fortschrittliche künstliche Intelligenz zu entwickeln, braucht es selbstverständlich äußerst gut ausgebildete Programmierer, aber ob deswegen ganze Jahrgänge auf niedrigem Niveau programmieren lernen müssen, scheint doch sehr fraglich. Umso erstaunlicher erscheint da der Hype um die MINT-Fächer, die allerorts mit besonderem Eifer gefördert werden.

Was Schulen im digitalen Zeitalter leisten sollten

Werden nicht zum Beispiel Berufe, die menschliche Eigenschaften, Kreativität und Empathie voraussetzen – wie sie etwa eine Studie der Bertelsmannstiftung prophezeit – immer wichtiger? Bestimmt wird es noch für einen kleinen Teil der Bevölkerung auch weiterhin in den traditionellen Sektoren Arbeit geben. Aber auch dort werden zwischenmenschliche Fähigkeiten und Begabungen relevanter. Begabungen also, die auch mithilfe von Lernclouds und schuleigenen Tablets nicht zwangsläufig besser erlernt werden können. Ganz unabhängig davon, stellt sich auch die Frage, ob es die Aufgabe unseres Bildungssystems ist, Schüler zu passenden Fachkräften für die Wirtschaft auszubilden oder ob es nicht vielmehr darum gehen sollte, sie auf ein selbstbestimmtes Leben vorzubereiten.

Dort wo die neuen Technologien sinnvoll eingesetzt werden können, sollten sich Schulen den neuen Technologien selbstverständlich nicht verweigern oder das Feld alleine kommerziellen Anbietern überlassen. Schon heute werden auf dem Markt für Online-Nachhilfe mehrere Millionen Euro umgesetzt: wieder ein Indiz für die Unzulänglichkeiten des bisherigen Schulsystems. Außerdem gibt es noch immer Schulen, die Smartphones sanktionieren und ihre Lehrer aus Angst vor Datenschutzbestimmungen Zeugnisse mit Hand schreiben lassen. Dass zu einer zukunftsfähigen Bildung immer auch die Nutzung aktueller Technologien zählt, sollte klar sein. Auch sollten Schulen nicht die Wünsche der Schülerinnen und Schüler vernachlässigen, die mitunter auch Treiber einer Digitalisierung im Schulwesen sind.
Aber neben aller Häme über das Versagen der Schulen im Angesicht der digitalen Transformation, sollte das Wesentliche nicht aus dem Fokus geraten. Bildung ist etwas zutiefst Menschliches und hilft uns in Zeiten, in denen Computer die Menschen in immer mehr Disziplinen schlagen, die Oberhand zu behalten. Was uns von den Maschinen unterscheidet, können wir eben nur von unseresgleichen und nicht von den Maschinen lernen.