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Wer im Jahr 2017 ein Haus baut, beschäftigt sich früher oder später zwangsläufig mit dem Thema Smart Home – denn eine Elektroinstallation wie vor 100 Jahren ist in einem Neubau keine wirkliche Option. Dabei stellt man allerdings schnell fest, dass die Anbieter von Smart Home-Lösungen alles tun, um für Bauherren den Weg zum vernetzten Eigenheim so holprig wie möglich zu gestalten. Ein Einblick.

Nachdem ich den Kampf um das schnelle Internet gewonnen hatte, fing ich an, mich mit einem Thema zu beschäftigen, das mir im Jahr 2017 mindestens genauso wichtig erschien, wie eine ordentliche Breitbandanbindung: Smart Home.

Meine Ansprüche an ein vernetztes Zuhause sind überschaubar: Ich möchte Rollläden, Markisen, Lüftung, Heizung und Licht zentral steuern. Mit dem vergleichsweise offenen KNX-Standard ist das kein Problem. Weiterhin ist mir wichtig, dass unsere PV-Anlage samt Speicher intelligent mit den Stromverbrauchern im Haus kommunizieren kann. Auch hier gibt es etablierte Anbieter mit soliden Produktlösungen.

Soweit die Theorie. In der Praxis sieht die Sache anders aus, denn am Ende des Tages kocht jeder Anbieter sein eigenes Süppchen – und steht damit der Digitalisierung im Weg.

Wenn die Photovoltaikanlage mit dem Geschirrspüler spricht – oder auch nicht

Solarmodule auf dem Dach, ein Wechselrichter samt Speicher im Technikraum – das ist das Setup, wenn man heutzutage seinen Strom selbst produzieren möchte. Und dann gibt es da noch Energiemanager, die den erzeugten Strom intelligent auf die Verbraucher im Haushalt verteilen. Anders ausgedrückt: Die Photovoltaikanlage kann direkt mit der Wärmepumpe, dem Geschirrspüler und dem Waschtrockner kommunizieren und die Geräte einschalten, wenn auf dem Dach ausreichend Strom produziert wird. Auf diese Weise erreicht man ein Höchstmaß an Effizienz.

In der Theorie. In der Praxis kann der Energiemanager mit den Geräten von genau zwei Herstellern kommunizieren – und natürlich auch nur mit bestimmten (High-End-)Modellen. Wenn ich von der Intelligenz meiner PV-Anlage profitieren will, muss ich also zuerst neue Haushaltsgeräte kaufen. Die Kosten dafür übersteigen das Einsparpotential bei weitem, so dass am Ende des Tages nur noch das Wissen bleibt, dass mein Haus smart ist. Wirklich effizient ist das nicht.

Selbiges gilt übrigens auch für die Wärmepumpe. Auch in diesem Bereich gibt es lediglich zwei Hersteller, deren Geräte mit dem Energiemanager „harmonieren“.

Kleine Kamera, große Probleme

In den vergangenen Wochen habe außerdem ich gelernt, dass eine Türsprechanlage, die mehr als ein Kleinwagen kostet, weniger kann, als eine Nest-Kamera für 200 Euro.

Zu einer Türsprechanlage gehört für gewöhnlich eine Innenstation. Da wir allerdings eine KNX-Visualisierung auf einem iPad an der Wand planen und man dort eine IP-Kamera integrieren kann, brauche ich keine separate Innenstation. Zumindest dachte ich das. Dazu muss man wissen, dass sich die Kamera der Türsprechanlage bei den „großen“ Herstellern nur aktiviert, wenn jemand klingelt. Eine dauerhafte Aufzeichnung dessen, was vor der Tür passiert, ist nicht möglich. Ebenso die vernünftige Integration in die KNX-Visualisierung – denn, ihr werdet es erraten: Die Türsprechanlage lässt sich nur mit der Visualisierungs-Software eines Herstellers vollumfänglich nutzen. Und wir sprechen hier von einer Türsprechanlage deren Kameramodul allein schon 1300 Euro kostet und nicht einmal Full HD unterstützt!

Demgegenüber steht die Nest Cam Outdoor, die 199 Euro kostet und mehr kann, als die 40-mal (!) so teure Türsprechanlage. Die Nest Cam Outdoor zeichnet dauerhaft in Full HD auf, erkennt Personen und schickt Push-Benachrichtigungen, sobald sich etwas bewegt. Die smarte Kamera verfügt zudem über einen Lautsprecher sowie ein Mikrofon und wird zusammen mit der App zur Türsprechanlage.

Hat es Google mal wieder allen gezeigt? Nope! Leider folgt auch Google dem Trend zur Abschottung: Die Nest Cam Outdoor schickt ihre Bilder ausschließlich in die Cloud, von der aus man diese mit der Nest-App abrufen kann. Das Videosignal in eine Visualisierung einbinden? Keine Chance. Was sich im Nest-Kosmos befindet, soll auch im Nest-Kosmos bleiben.

Wo ein Wille ist…

Nach mehreren Stunden (!) der Recherche, habe ich schlussendlich eine Kamera gefunden, die smart ist, bei der das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt und die sich in die KNX-Visualisierung einbinden lässt. Auch für die Kommunikation zwischen PV-Anlage und Wärmepumpe gibt es einen halbwegs vernünftigen Workaround.

Der Punkt ist aber: Kaum jemand würde einen solchen Aufwand betreiben und mehrere Stunden opfern, nur um eine halbwegs passende Lösung für die Türkommunikation zu finden. Im Zweifel verlieren die Menschen sofort die Lust und greifen zu einer klassischen Elektroinstallation, die zwar nichts kann, aber auch keine Probleme macht.

Die Standards sind da, aber anstatt diese zu nutzen, setzen die Hersteller lieber auf ihre eigenen Ökosysteme. Ich habe aktuell allein drei Apps auf dem Smartphone, um Kaffeemaschine, Saugroboter und eine Kamera zu steuern. Der Wunsch der Hersteller ist denkbar einfach: Der Verbraucher soll alles von einem Unternehmen kaufen – zum Beispiel alle Haushaltsgeräte. Und da kaum ein Hersteller alle Bereiche abdeckt, werden vereinzelt Kooperationen geschlossen, so dass immerhin bestimmte Marken harmonieren.

So funktioniert das aber nicht. Der Kunde lässt sich nicht in ein so enges Korsett zwängen. Stattdessen tut er Smart Home als Spielerei ab. Das schadet nicht nur den Herstellern, die viel Geld in die Entwicklung neuer Technologien stecken, sondern auch der Digitalisierung insgesamt.