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Die Digitalisierung und das Internet of Things sind in aller Munde. Wir tragen VR-Brillen und unsere Autos fahren autonom. Das ist die schöne neue Welt, in der wir Digital Natives leben – bis uns ein Fax in die Realität zurückholt. Ein Kommentar.

Ich bin seit 2002 Stammkunde bei Amazon. Im stationären Einzelhandel kaufe ich nur im absoluten Notfall ein. Sobald Same Day-Delivery zum Standard wird, gehört aber auch das der Vergangenheit an. Ich habe nie Bargeld bei mir und meide Restaurants sowie Geschäfte, die sich im Jahr 2017 noch immer gegen die – eigentlich schon nicht mehr zeitgemäße – Kartenzahlung wehren. Mein Auto fährt teilautonom, Flugtickets habe ich digital auf meinem iPhone und unseren Staubsauger starte ich von unterwegs per App. Bald schon wird unser gesamter Haushalt vernetzt sein.

Die Digitalisierung hat inzwischen all unsere Lebensbereiche erfasst. Könnte man meinen. Doch dann wird man von einer Sekunde auf die andere aus seiner digitalen Seifenblase gerissen und stellt fest, dass die Uhren vielerorts noch anders ticken.

Öffentliche Verwaltung: Gefangen in der Zeitschleife

Ein gutes Beispiel dafür ist die öffentliche Verwaltung. Wie der ein oder andere beim Lesen meiner Artikel vielleicht schon mitbekommen hat, sind wir gerade dabei ein Haus zu bauen. Das vergangene Wochenende haben wir nun damit verbracht, die drei ausgedruckten Ausfertigungen unseres Baugesuchs gefühlt 100 Mal zu unterschreiben. Dazu muss man wissen, dass so ein Baugesuch vom Umfang her einer Abschlussarbeit an der Uni gleicht. Man hätte die Pläne und Anträge auch einfach digital an eine zentrale Plattform übermitteln können, wo dann alles bearbeitet und geprüft wird. Aber nein. Stattdessen gibt man drei Ausfertigungen ab, die nun an drei Stellen verschickt werden. Am Ende bekommen wir eine zurück. Genauso hat man auch schon vor 40 Jahren einen Bauantrag gestellt.

Man muss sich nur mal vorstellen, wie viel Zeit und Ressourcen es sparen würde, wenn einfach alle beteiligten Ämter auf die Dokumente in der Cloud zugreifen würden. Anmerkungen können per Kommentar hinzufügt werden. Fertig. Keine unnötigen Postläufe, kein Papier, keine drei Monate Wartezeit. Der Witz an der Sache: Am Ende wird irgendwer die ausgedruckten Pläne doch noch digitalisieren, um sie zu archivieren.

In der öffentlichen Verwaltung hat die Politik noch viel nachzuholen. Bislang beschränkt sich die Digitalisierung der Ämter darauf, dass Vordrucke als PDF auf unübersichtlichen Webseiten zu finden sind. Wenn man Glück hat, ist zusätzlich zur Telefonnummer auch noch eine E-Mail-Adresse angegeben. Das war’s aber auch schon.

Nein, Moment! Es gibt ja noch den neuen Personalausweis, den „Ausweis mit dem Klick“. Leider hatte ich bislang noch mit keiner einzigen Behörde zu tun, bei der ich die „Online-Funktion“ hätte nutzen können. Ich kenne auch niemanden, der davon je Gebrauch gemacht hat.

Warum E-Mails verschicken, wenn es doch Faxgeräte gibt

Einen kurzen Absatz möchte ich an dieser Stelle auch noch dem Fax widmen. Es gibt kaum ein Überbleibsel aus längst vergangenen Zeiten, das sich so hartnäckig hält. In der Kantine meines früheren Arbeitgebers hängt noch heute ein Plakat, das für das „Fax-Abo“ wirbt. Kein Witz! Wer möchte, kann sich jede Woche den Essensplan zufaxen lassen.

Mein aktuelles Lieblingsbeispiel ist allerdings noch viel absurder: Ich fahre zur Zeit einen Volvo, der über WiFi verfügt und bei Problemen selbständig einen Termin in der nächsten Werkstatt buchen kann. So intelligent sind die Autos heute schon! ;) Als ich dann vor einer Weile einen Platten hatte und die Volvo Assistance anrief, staunte ich nicht schlecht über den ADAC-Mitarbeiter, der sich kurze Zeit später bei mir meldete: „Guten Morgen Herr Feil. Ich habe gerade ein Fax von Volvo bekommen. Sie haben einen Reifenschaden?“ – in diesem Moment habe ich mir bildlich vorgestellt, wie mein Auto seinen nächsten Werkstatttermin bucht, indem es ein Fax an den Händler schickt…

Die Digitalisierung geht uns alle an

Kommen wir nochmal zurück zur öffentlichen Verwaltung. Ich möchte an dieser Stelle nämlich fair sein: Schuld an der Misere sind keinesfalls nur die Ämter und Behörden, sondern vor allem auch die Bürger selbst. Ich bin mir ziemlich sicher, dass etwa bei dem Baugesuch 80 Prozent der Bauherren kein Problem damit haben, drei Mappen à 40 Seiten einzureichen. Ich würde sogar behaupten, dass ihnen das lieber ist, als die Unterlagen digital bereitzustellen.

Selbiges gilt für viele andere Prozesse, die die Mehrheit der Bürger lieber analog als digital erledigt. Es muss noch viel getan werden, um diese „digitale Unsicherheit“ zu bekämpfen und den Menschen zu zeigen, dass sie in die Digitalisierung vertrauen können.

Es wäre zumindest ein Anfang, den Breitbandausbau flächendeckend voranzutreiben und grundlegende Vorgänge in den Bürgerbüros in digitale Prozesse umzuwandeln.