Lesedauer ca. 5 Minuten

Kaum ein anderes Thema wird derzeit so kontrovers diskutiert, wie die Elektromobilität – und zu kaum einem anderen Thema kursieren so viele Falschaussagen und Halbwahrheiten. Ein Überblick über die gängigsten Mythen und Legenden rund um das Elektroauto.

Diskussionen auf Augenhöhe zu führen, ist im Zeitalter der „Fake News“ und „Alternativen Fakten“ gar nicht so einfach. Immer mehr Menschen gehen dazu über, ihre subjektive Wahrnehmung der Dinge als unumstößliche Wahrheit anzusehen – und sich ihre eigene Realität zu schaffen. In dieser alternativen Realität gelten weder wissenschaftliche Studien noch repräsentative Umfragen. Lediglich die eigene Sicht der Dinge ist entscheidend. Subjektive Einschätzungen werden in den Rang objektiver Fakten erhoben.

Wer sich davon selbst ein Bild machen möchte, muss einfach nur einen Blick in die Kommentarspalten bei Facebook werfen, sobald es um das Thema Elektromobilität geht.

Mythos 1: Die Reichweite von Elektroautos ist zu gering

In Deutschland legen Autofahrer mit ihrem PKW pro Tag durchschnittlich rund 39 Kilometer zurück – sei es nun zur Arbeit, zum Einkaufen oder zum Sport. Nur ein bis zwei Mal pro Jahr werden Strecken von 600 Kilometern und mehr gefahren, nämlich dann, wenn es in den Urlaub geht.

Kleinere Elektroautos schaffen inzwischen 200 bis 300 Kilometer mit einer Ladung. Bei 40 Kilometern pro Tag muss das E-Auto somit im Durchschnitt einmal pro Woche geladen werden. Größere Modelle, die auch für längere Strecken geeignet sind, bringen es auf Reichweiten von bis zu 550 Kilometern. Selbst wenn man die rund 950 Kilometer von Stuttgart nach Sylt fährt, schafft man das je nach Modell problemlos mit ein bis zwei Pausen von jeweils 30 Minuten an der Ladesäule – die man im Sinne der Verkehrssicherheit ohnehin einlegen sollte, auch mit einem Verbrenner.

So sieht die Realität aus.

In der alternativen Realität jedoch, fährt der deutsche Autofahrer mit seinem Diesel 1.000 Kilometer am Stück. Ohne Toilettenpause. Mit 200 km/h. Und das täglich. In diesem Szenario könnte man natürlich zu dem Schluss kommen, dass die Reichweite eines Elektroautos zu gering ist.

Mythos 2: Das Laden dauert zu lange und überlastet das Netz

Wenn man einen BMW i3 während des Einkaufs im Supermarkt an einer Schnell-Ladesäule mit 50 kW auflädt, dauert es rund 30 Minuten bis der Akku zu 80 Prozent gefüllt ist. Das entspricht einer Reichweite von 200 Kilometern. An den modernen Ionity-Ladesäulen entlang der Autobahnen sind künftig sogar bis zu 350 kW Ladeleistung möglich – und ein Porsche Taycan kann bereits mit 270 kW in knapp 22 Minuten von 5 auf 80 Prozent geladen werden.

Im privaten Bereich beschränkt sich die Ladeleistung in der Regel auf 11 kW. Damit kann man ein Tesla Model S in rund 9 Stunden vollladen– das entspricht genau jenem Zeitraum, den ein Fahrzeug über Nacht sowieso in der Garage steht.

Und wie sieht es mit dem Stromnetz aus? Das haben wir die Stadtwerke Karlsruhe in unserem Interview zum Thema Elektromobilität gefragt:

Der Jahresstromverbrauch von Deutschland wird sich bei eine Millionen Elektrofahrzeuge gerade einmal um 0,4 Prozent erhöhen, daher besteht hier schon mal kein Engpass. Auch unser lokales Mittelspannungsnetz ist bestens für die Anforderungen gewappnet. Was Sie ansprechen, ist das Niederspannungsverteilnetz, also die letzten Meter zum Hausanschluss.

Auch hier gibt es neue Erkenntnisse: Dank eines Feldversuchs der Netze-BW, die „E-Mobility-Allee“ in Ostfildern bei Stuttgart. Von zehn Wallboxen haben nie mehr als fünf gleichzeitig geladen und selbst das nur zu 0,1 Prozent der Zeit. Dies rührt unter anderem daher, dass die Autos im Schnitt zwar 7,5 Stunden angeschlossen, aber bereits nach 2,5 Stunden aufgeladen waren. Nun ist jeder Straßenzug zwar anders, dennoch stehen wir mittelfristig hier vor keinem Problem.

Wer sich tiefer in das Thema einlesen möchte, findet hier alle Informationen zur E-Mobility-Allee.

So sieht die Realität aus.

In der alternativen Realität jedoch, laden alle deutschen Autofahrer ihre Fahrzeuge gleichzeitig am Schnelllader, das Stromnetz implodiert und wir sitzen im Dunkeln. Ohnehin stehen wir aufgrund der Energiewende kurz vor dem Blackout.

Mythos 3: Elektroautos sind schlecht für Mensch und Umwelt

Elektroautos verursachen deutlich weniger COals Dieselfahrzeuge oder Benziner – und sind lokal emissionsfrei. Bei geringeren Geschwindigkeiten sind sie zudem leiser – was sich insbesondere in Wohngebieten und beim Anfahren an Kreuzungen positiv bemerkbar macht. Ebenfalls zur Umweltfreundlichkeit von E-Autos trägt der deutsche Strommix bei: Bis 2030 soll der Anteil der erneuerbaren Energien auf 65 Prozent steigen. Wer eine Photovoltaikanlage auf dem Dach hat, kann sogar schon heute zu 100 Prozent grünen Strom „tanken“.

Was die Batterien betrifft: In kaum einem anderen Bereich wird derzeit mehr geforscht. Dadurch werden die Akkus effizienter und es sind immer weniger seltene Ressourcen für deren Herstellung notwendig. Mittelfristig soll der Kobalt-Anteil beispielsweise nur noch bei sechs statt zwölf Prozent liegen. Dafür liegt die Recyclingquote alter Batterien bereits heute bei bis zu 97 Prozent. Auch andere Behauptungen von Kritikern (die Akku-Produktion brauche Unmengen an Wasser, es gäbe nicht genug Lithium, etc.) wurden längst wissenschaftlich widerlegt.

Lesenswerte (objektive) Informationen zu diesem Thema finden sich hier, hier, hier und hier.

So sieht die Realität aus.

In der alternativen Realität jedoch, sind Elektroautos hochgiftig, leicht entflammbar, ineffizient und verschwenden Ressourcen. Zudem sind sie natürlich deutlich umweltschädlicher als der gute alte Diesel. Immerhin ist Strom ja „schmutzig“.

Weitere Mythen rund um das Elektroauto

Das waren jetzt nur die gängigsten Mythen, die man in Diskussionen über die Elektromobilität häufig zur hören bekommt. Daneben gibt es aber auch noch weitere Stammtisch-Klassiker, die sich hartnäckig halten:

  • die Feuerwehr kann Elektroautos nicht löschen.
  • alte oder verunfallte Elektroautos lassen sich nicht entsorgen.
  • wenn man im Regen das Auto lädt, kann man einen elektrischen Schlag bekommen.
  • uvm.

Nichts davon ist wahr, vieles davon aber leider fest in den Köpfen der Menschen verankert – und es wird noch lange Zeit dauern, bis all diese Vorbehalte verschwunden sind.

Abschließend sei noch gesagt, dass auch die Elektromobilität nicht das Allheilmittel für die Verkehrsprobleme unserer Zeit ist. Es gibt noch viele Baustellen, die in den kommenden Jahren angegangen werden müssen: Die Ladeinfrastruktur muss verbessert und die Herstellung der Batterien nachhaltiger gestaltet werden. Es müssen Lösungen für diejenigen gefunden werden, die keinen eigenen Stellplatz haben. Es braucht eine größere Auswahl an vollelektrischen Fahrzeugen in der Größenordnung eines Audi A4 oder VW Touran.

Mögliche Antworten auf all diese Fragen gibt es viele. Alternative Fakten und Stammtischweisheiten jedoch zählen nicht dazu.