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Baden-Württembergs Sozialminister, Manfred „Manne“ Lucha, lobte bei einem Besuch des FZI Forschungszentrum Informatik, Ende der vergangenen Woche, die Forschungen zur Digitalisierung der Pflegebranche. Schon seit Jahren sind die Digitalisierung von Gesundheitsdienstleistungen und die Weiterentwicklung von Angeboten für die Telemedizin sind thematische Schwerpunkte  des FZI.

„Die Rückständigkeit bei der Automatisierung von Pflegedienstleistungen in Deutschland ist brutal“, nennt FZI-Direktor Wilhelm Stork den Grund für die zahlreichen Forschungsprojekte. Um in der Pflegebranche gegenüber anderen Ländern nicht den Anschluss zu verlieren, müssten Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen dringend mehr Geld für die entsprechende Technik und zur Verbesserung ihrer Organisationsstrukturen in die Hand nehmen, appelliert Stork. Allerdings stießen die Entwickler von Digitalisierungslösungen bei den entsprechenden Einrichtungen oft noch auf taube Ohren.

„Nur durch solche innovativen Projekte können wir das Sozialwesen künftig effizienter gestalten und die derzeitigen Probleme in der Pflegebranche in den Griff bekommen“, lobt Sozialminister Manfred Lucha die gute und nachhaltige Entwicklungsarbeit der Forschungsschmiede in der Karlsruher Oststadt. Allerdings müssten die verschiedene Akteure für ein schnelleres Vorantreiben der einzelnen Projekte künftig früher an einen Tisch geholt werden, wirbt  der Chef des baden-württembergischen Ministeriums für Soziales und Integration für eine bessere Vernetzung von Softwareentwicklern und Gesundheitsexperten.

Im Rahmen seiner diesjährigen Sommertour warf Lucha einen Blick hinter die Kulissen des FZI und ließ sich im House of Living Labs einige der aktuellen Projekte zur Digitalisierung der Sozial- und Pflegebranche erläutern.

KommmIT vernetzt ältere Menschen

Bewusst einfach gehalten ist die App des Projekts KommmIT (Abkürzung für „Kommunikation mit intelligenter Technik“). Mit nur wenigen Klicks können Nutzer mit Menschen aus der Nachbarschaft Kontakt aufnehmen oder ein Mittagessen bei einem sozialen Dienst bestellen. Die Schlichtheit der Anwendung hat ihren Grund, denn die App soll Senioren bei der Bewältigung ihres Alltags unterstützen. Weil die App nur auf Einrichtungen aus dem Quartiersumfeld verweist, gibt es ausschließlich Informationen aus der unmittelbaren Umgebung.

Statt über ein globales soziales Netzwerk wie Facebook kommunizieren die Senioren mit einem speziellen Nachrichtendienst. Getestet wird das Kommunikationssystem derzeit in drei Quartieren in Stuttgart. Konzipiert wurde die App unter Federführung des Sozialsoftwareunternehmens nubedian GmbH in der Karlsruher Oststadt.“Die App wird sehr gut angenommen. Nun müssen wir die Senioren bei der Benutzung ausbilden“, sagt nubedian-Geschäftsführer Bruno Rosales. Und nach dem Ende der Förderperiode soll KommmIT ab dem Jahr 2021 auch in anderen Städten eingesetzt werden.

„Wir brauchen mehr Flexibilität“

Die geplante Ausweitung des Projekts auf andere baden-württembergischen Städte ist laut Lucha allerdings ein schwieriges Unterfangen. Der Grund: KommmIT wird mit Bundesmitteln gefördert und das Land hat bereits eigene Projekte für ein effizientes Pflegequartiersmanagement am Laufen. „Leider sind viele vielversprechende Projekte in den Kommunen durch die unterschiedlichen Zuständigkeiten isoliert“, brachte Lucha das derzeitige Dilemma auf den Punkt. Das Haus von Bundesforschungsministerin Anja Karliczek arbeite zu sehr für sich und setze durch die Vergabe von Bundesfördermitteln dazu noch Maßstäbe, appellierte Lucha an eine bessere Zusammenarbeit zwischen Berlin und Stuttgart. Außerdem sollten die Forschungseinrichtungen bereits in einer frühzeitigen Entwicklungsphase mit dem Sozialministerium in Kontakt treten. Nach Luchas Einschätzung kann die Digitalisierung in der Pflege nämlich nur durch eine gemeinsame Strategie aller Beteiligten vorangetrieben werden. „Wir brauchen mehr Flexibilität“, so Lucha, und auch die Unterscheidung zwischen kommunalen und privaten Häusern sei bei der Vergabe von Fördermitteln nicht zielführend.

Geriatrie-Pflegesuche

Flächendeckend eingesetzt werden soll laut Luchas mit SereNaWeb auf jeden Fall ein weiteres nubedian-Projekt. Die Plattform wurde zur Unterstützung der Krankenhäuser bei der Suche nach einem Nachversorger für Geriatrie-Patienten entwickelt. „Wenn Krankenhäuser für die Nachversorgung von älteren Leuten eine passende Pflegeeinrichtung suchen, müssen dafür bislang erst einmal alle möglichen Häuser abtelefoniert werden. So etwas dauert gut und gerne zwei Stunden“, so Rosales. Durch die schnelle Übermittlung der relevanten, anonymisierten Patientendaten könne deshalb sehr viel Zeit gespart und die Suche nach den passenden Einrichtungen deutlich effizienter gestaltet werden.

Nubedian wurde 2011 zur Entwicklung einer Software für die baden-württembergischen Pflegestützpunkte aus der Taufe gehoben. In den vergangenen Jahren wurde das Angebot der FZI-Ausgründung kontinuierlich erweitert und mittlerweile gehören auch Softwarelösungen für Krankenhäuser sowie Angebote zur telemedizinischen Versorgung von Dialyse-Patienten zum Portfolio des Pflegespezialisten.

Der baden-württembergische Sozialminister, Manfred Lucha (rechts), zu Besuch im Karlsruher FZI.

FZI forscht zur Digitalisierung der Pflege

Am FZI werden laut Vorstand Jan Wiesenberger jährlich 200 Forschungsprojekte mit einer Laufdauer von durchschnittlich zweieinhalb Jahren initiiert. Und von den 50 FZI-Ausgründungen der vergangenen Jahre hätten sich über 40 am Markt behauptet. „Das ist eine  beeindruckende Quote“, so Wiesenberger. Prinzipiell sei das FZI aber immer noch eine Einrichtung, in der junge Wissenschaftler Forschungsprojekte in die Tat umsetzen und dabei auch noch ihre Promotion machen könnten. „Viele der Leute gehen hinterher an die Hochschulen. Einige landen auch bei Partnerbetrieben“, so Wiesenberger. Durch erfolgreiche Ausgründungen könnten die kreativen Köpfe aber auch in Karlsruhe gehalten werden und davon könne dann die gesamte Digitalisierungsbranche in der TechnologieRegion Karlsruhe profitieren.