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Die kognitive Logistik wird in naher Zukunft Realität werden. Da bin ich mir sicher. So gehört es beispielsweise innerhalb von Produktionsstraßen zum Standard, dass Systemkomponenten ohne Zutun des Menschen miteinander kommunizieren und Problemstellungen selbst erkennen und gleichzeitig lösen. Und da die Logistik mit der Produktion immer weiter miteinander verschmilzt, erhöht sich auch bei logistischen Prozessen der Automatisierungsgrad immer mehr – die wichtigste Zutat, auf dem Weg zur Smart Factory, sind dabei die Daten.

Was steckt eigentlich hinter der Wortfindung ‚Kognitive Logistik‘? Nun, sogenannte kognitive Systeme, durch die Logistikbrille betrachtet auch gerne smarte logistische Technologien, verfügen über die Fähigkeit, Prozessabläufe zu lernen, wiederkehrende Muster zu erkennen und daraus Handlungsempfehlungen abzuleiten. Im Hinblick auf die Prozesse innerhalb eines Distributionszentrums können kognitive Systemeigenschaften Mitarbeiter im Lager bei Entscheidungen unterstützen – unvorhersehbare Ereignisse können im Vorfeld erkannt, analysiert und bei Bedarf den neuen Situationen angepasst werden.

Kognitive Logistik: Informationen + Eigenschaften und Beziehungen

Technologisch betrachtet schreibe ich vom kleinsten Sensor, über Aktoren, Embedded-Systeme, Netzwerke, Computer-Hardware, autonomes Computing, komplexe Fördertechnik bis hin zu Zukunftstechnologien wie Drohnen und autonome Robotik-Lösungen. Wobei eine Kognitive Logistik sich zusätzlich und gezwungener Maßen dabei auf folgende Segmente stützt: Objekt, Dienste, Ereignisse, Kommunikation, Kontext- und Objekt-Management, Objekt-Beziehungen sowie Objekt-Gedächtnis. „Letztere Aufzählung zeigt, dass sich cyber-physische Systeme nicht nur aus reinen Informationen heraus zu einem produktiven System entwickeln. Vielmehr sind es Eigenschaften und Beziehungen (auch situationsbedingt), die jede einzelne Komponente annimmt oder annehmen kann“, erklären dazu die Logistik-Experten von Logistik Know-how.

Werker in den Produktionshallen, ebenso wie Planer, Logistiker und der Einkauf sollen zukünftig immer häufiger auf kognitive, lernende Systeme vertrauen können, die in gewisser Weise ‚mitdenken’, sie in ihren Entscheidungen unterstützen und in vielen Arbeitssituationen auch entlasten.

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Und genau dort greift das eigentliche ‚Beef‘ der Kognitiven Logistik. So bin ich der festen Überzeugung, dass der Schlüssel in der Konzentration auf die Qualität der Daten und die Fokussierung auf deren Kontext liegt. So entstehen kleine intelligent zusammengestellte Datensets. In Zukunft ändert sich die Perspektive des Kunden, Daten werden im geeigneten Kontext mit Blick auf gesuchte Lösungen interpretiert – und nicht mehr nur nach zufälligen Mustern. In den Unternehmen geht es letztendlich darum die Kultur des intelligenten Datenmanagements weiterzuentwickeln hin zu einer lernenden Organisation (siehe dazu auch den Artikel ‚die Zukunft der Logistik‚).

Qualität der Daten der Schlüssel

Ein entscheidender Grund für diese Entwicklung: Inzwischen hat eine Fülle von digitalen Errungenschaften die Lagerhallen erobert. Tablets, Smartphones, Scanner, Pick-by-Voice, Pick-by-Vision und vollautomatische Kommissionier-Roboter sind heute keine Seltenheit mehr – und, wer hätte das gedacht, mit der steigenden Zahl unterschiedlichster Technologien nimmt auch die Datenmenge zu. Die Unternehmen sind demnach gezwungen, die Qualität der Daten extrem hoch zu halten. Warum? Ob Paket-Umschlagplätze oder Hochregallager; um mit immer schnelleren Warenanpassungen Schritt halten zu können, wird eine kommunizierende, selbststeuernde und wandlungsfähige Intralogistik benötigt.

Auch weil die Realität mittlerweile so ausschaut: Über das Internet werden individuelle Produkte nachgefragt, Unternehmen müssen zunehmend diversifiziertere Programme fahren; hinzu kommen immer flexiblere und personalisierte Lieferbedingungen. Ein großes Problem sind zudem die Retouren. So gehören Mehrfachbestellungen im E-Commerce zum Standard. Kunden bestellen oftmals, weil sie ihre Größen nicht kennen, einen Artikel dreimal; gerne auch mehrfach in unterschiedlichen Farben. Die daraus resultierenden Retouren führen zu einer zusätzlichen Transport- und Lagernotwendigkeit. Spontane Kundenbestellungen sowie Same-Day-Delivery runden die aktuellen Anforderungen eines Anbieters ab. Genaue und vor allem spezifische Prognosen hinsichtlich der Prozessabläufe innerhalb eines Lagers werden immer schwieriger – so sprechen wir alleine in Deutschland von 3,4 Milliarden Paketsendungen, die 2017 aus den Distributionszentren an die Kunden gingen. Daher ändert sich derzeit auch der Blickwinkel; im Fokus steht die Frage ‚Was wird passieren und sind wir darauf vorbereitet?“ – Predictive Analytics lässt grüßen. Speziell die semantische Analyse von logistischen Prozessen wird in Zukunft ein besonderes Verfahren der Informationsgewinnung innerhalb der Kognitiven Logistik spielen. Sie erlaubt grundsätzlich die inhaltliche Interpretation von Kennzahlen und liefert dank der Einbeziehung von Domänenwissen (Synonyme, Ähnlichkeiten, Ontologien sowie Taxonomien) exakte Ergebnisse.

Aber, logistische Prozesse sind komplex

Klingt alles vielversprechend; doch mal ehrlich – die eierlegende Wollmilchsau in der Logistik gibt es nicht. Versteht mich nicht falsch; hochsensible Sensoren, komplexe Fördertechnik, wie auch hippe Zukunftstechnologien finden schon heutzutage Anwendung. Die Intralogistik ist zweifelsohne eine Branche, mit dem wohl höchsten Automatisierungsgrad – zumindest, wenn es die Prozesse erlauben. Denn in Distributionszentren wird es auch in zehn Jahren noch Prozesse geben, die kein Roboter oder Computer besser erledigen werden als der Mensch. Als Beispiel seien spezielle Abläufe in der Kommissionierung sowie Entscheidungsfindungen am Leitstand genannt.

Die Problematik bei den smarten Technologien, egal ob Logistik oder Produktion: Es handelt sich, laut der technischen Universität Berlin, um „Basistechnologien, die durch ihre Vernetzung und Integration via Internet Wertschöpfungssysteme zu intelligenten, kognitiven Entscheidungen befähigen und dadurch Selbststeuerung, Echtzeit-Optimierung und teilautonome Steuerung ermöglichen“ – Logistik und Produktionsanlagen sind allerdings aus Sicherheitsgründen nicht direkt mit dem Internet verbunden; zumindest noch nicht. „Solche Art smarten Technologien stellen ein attraktives Angriffsziel für verschiedene Software- und Hardwareangriffe dar, die erheblich Auswirkungen haben können. Da oftmals auch datenschutzsensitive Daten verarbeitet werden, können erfolgreiche Angriffe ebenfalls erhebliche Auswirkungen auf die Privatsphäre haben“, so das Fraunhofer SIT, welches sich etwa intensiv mit den Sicherheits- und Datenschutzaspekten von Cyber-Physical Systems und deren Kommunikationskanälen beschäftigt. In Sachen Datenschutz beziehungsweise DSGVO sprechen wir natürlich auch von sensiblen Kundendaten.

Sprich, normalerweise wird heutzutage die Intelligenz lokal auf das jeweilige System verteilt; auch weil die Prozessabläufe klar definiert sind und nur wenig Spielraum für Kreativität lassen. Wir werden auch weiterhin auf isolierte Datensilos innerhalb eines Warehouse-Management-Systems zugreifen und zeitgleich Informationen aus Wareneingang, Kommissionierung und Warenausgang sinnvoll und effektiv zusammenführen und nutzen – Kundeninformationen aus dem ERP-System oder Warenwirtschaftssystem runden den Informationsgehalt ab.

Ja, es gibt die Smart Factory und ja, es wird in Zukunft immer weiter an autonomen Technologien gearbeitet. Doch werden die Anforderungen in Zukunft immer individueller und gleichzeitig komplexer. Für einfache Lager sind kognitive Ansätze absolut sinnvoll; für hochkomplexe Anlagen aber, mit Hundertprozentiger Abdeckung, kaum denkbar. Und nein, Künstliche Intelligenz ist auch keine Lösung.