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Über die Bedeutung, Lösungen und warum Wissensmanagement noch kein Wissenstransfer ist

Wissen – Über dessen reale, wirtschaftliche Bedeutung für den Maschinenservice

Dass über die Bedeutung von Maschinenwissen aktuell in einem Ausmaß berichtet wird, wie zuvor die Jahre über die Verarbeitung von Maschinendaten, weist auf zweierlei hin:

Zum einen deutet es auf eine tatsächlich jahrelange Unterschätzung der Relevanz von Wissen im Maschinenservice hin. Dies indiziert auch u.a. Senseye mit einer Studie aus 2022, nach der trotz Durchsetzung datenbasierter Services in der Produktion, die Stillstandszeiten der größten 500 Betriebe weltweit um 65% auf 120 Mio. EUR gestiegen sind. Ein Grund hierfür kann sein, dass datenbasierte Technologien wie Condition Monitoring oder Predictive Maintenance noch nicht hinreichend produktionsoptimierend wirken. Sie mögen zwar Transparenz schaffen über den Zustand einer Maschine. Welche Bedeutung bestimmte Daten allerdings haben und in welcher Kombination sie auf einen Maschinenfehler hindeuten, bleibt zu interpretieren – durch Expertenwissen.

Als zweiter Treiber kann die aktuelle Dynamik des Fachkräfteabgangs gelten. Der deutsche Arbeitsmarkt verliert ab diesem Jahr 2023 die ersten Erwerbstätigen der Babyboomer-Generation an den Ruhestand. Dieses Ausscheiden betrifft insbesondere auch die Berufe des Maschinenservice. Die Bundesagentur für Arbeit zeichnete schon im Jahr 2018 ab, dass über 20% der Servicetechniker*innen älter als 55 Jahre alt sind. Deren Erfahrungsschatz nutzbar zu machen ist auch deswegen akut, weil sie immer weniger und weniger qualifiziert nachbesetzt werden können. Aufgrund der hohen Reisetätigkeit bei gleichzeitig mangelnder Wertschätzung des Berufs „Servicetechniker*in“ blieb schon 2019 eine Stelle durchschnittlich 185 Tage frei.

Ab diesem Jahr wird die wachsende Wissenslücke im Service merkliche wirtschaftliche Spuren hinterlassen: Maschinenbauer werden mangels Ressourcen wertvolles Servicegeschäft verlieren.  Maschinenbetreiber haben mit steigenden Stillstands- und Wartezeiten im Servicefall zu rechnen.

Wissenstransfer – Anforderungen und die klare Abgrenzung zu Wissensmanagement

Um sich rechtzeitig der Sicherung von Servicewissen zu stellen, ist die Versuchung groß, alles Wissen von allen Mitarbeitenden sofort sammeln zu wollen. Diese „schnelle“ digitale Dokumentenablage in einem Content Management System ist als Form des Wissensmanagements schon 20 Jahre alt. Nach einer Einschätzung von Sandra Becker in 2022, Senior Managerin bei Deloitte, ist für 70% der Unternehmen Wissensmanagement auch relevant. Allerdings fühlen sich nur 9% sich mithilfe aktueller Lösungen bereit es umzusetzen.

Explizit im Servicebereich wird Wissen noch nicht einmal auf irgendeine Art digital nutzbar gemacht, danach Kothes (2022) 83% Prozent der Servicetechniker*innen ihr Wissen noch handgeschrieben notieren. Dies erklärt, warum über 25% der Servicetechniker*innen jeden Tag 1-2 Stunden nach wichtigen Informationen für ihren Serviceeinsatz suchen. 60% der Befragten gaben sogar an, gar nicht wissen, wonach zu suchen ist.

Damit wird eine Anforderung an digitale Lösungen zum Wissenstransfer klar: Wissen einfach nur zu „managen“ reicht nicht mehr. Es muss so strukturiert erfasst werden, dass über technologische Unterstützung, z.B. künstliche Intelligenz (KI), eine nachhaltige Verarbeitung und Übersetzung in eine Art intuitiver Anleitung erfolgen kann. Von den Servicetechniker*innen bevorzugt wird eine Schritt-für-Schritt-Anleitung, wie sie auch für den unerfahrenen Anwender*innen einfach zugänglich ist. Außerdem zwingt sie nicht zu einer zeitaufwendigen Suche.

Eine weitere Anforderung an digitale Lösungen ist, dass sie den Initialaufwand zur Aufnahme des Wissens gezielt und gering fassen. Zwar braucht es immer initiale Workshops und Interviews mit den Wissensträgern, z.B. aus Service, Produktmanagement und technischer Dokumentation. Anders als oft angenommen sind diese direkten Gespräche dann aber nicht nur weniger zeitaufwendig als der „Workaround“, Wissen durch das Auslesen einer Vielzahl bestehender Dokumente zu erfassen. Auch die Datenbasis, auf die eine mögliche KI zurückgreifen kann, ist eine bessere, wenn sie direkt aus einem Expertengespräch entsteht.

Wissensfelder – Wie und mit welchem Wissen anfangen?

Wenn Wissenstransfer nicht die Ablage, sondern die Nutzbarmachung von Wissen meint und es hierzu nicht nur digitaler, sondern intelligenter Lösungen bedarf, ergibt sich folgende Empfehlung zur Umsetzung:

Bevor es in die Auswahl irgendeiner Lösung geht, sind konkrete „Wissensfelder“ zu definieren. So bietet es sich an, alle Servicebereiche und -aktivitäten zu betrachten und nachzuvollziehen, an welchen Stellen Expertenwissen greift. Hier sollte mit jeweils ein bis zwei Expert*innen pro Feld gesprochen und näher verstanden werden, welche implizite Struktur oder Zusammenhänge dieser bei einer bestimmten Tätigkeit in seinem Kopf verfolgt. Erst mit diesem Verständnis kann abgeleitet werden, z.B. welche Art der KI es braucht, um dieses Wissen in seiner Struktur zu erschließen und transferieren.

Die Definition von Wissensfeldern hat den weiteren Vorteil, eine Großinitiative „Wissenstransfer im Maschinenservice“ als niederschwelliges, aber ergebnisorientiertes Pilotprojekt einfach anzufangen (siehe Abbildung).

Abbildung „Eckpunkte zur Definition eines Pilotprojektes für den intelligenten Wissenstranfser“

Derjenige Bereich im Service, der am meisten Wissen bedarf, zu dem aber am wenigsten verfügbar ist, sollte dabei das zu priorisierende Wissensfeld sein. Konkret: 50% der von Kothes in 2022 befragten Servicetechniker*innen konstatieren, dass sie am meisten Hilfe beim Prozess der Fehlerdiagnose und -behebung benötigen. Genauso viele beklagen gleichzeitig, dass ihnen heute genau hierzu das meiste Wissen fehlt.

„Maschinenfehlern“ ihr Tabu zu nehmen und stattdessen das „Fehlerwissen“ hierzu als kritischen Erfolgsfaktor und Startschuss in den intelligenten Wissenstransfer im Maschinenservice anzuerkennen lautet somit die abschließende Empfehlung.

Quellen:

Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (2023): Pressemitteilung „Renteneintritt der Babyboomer: Für viele ist schon mit 63 Schluss“2022-12-10-Erwerbsbeteiligung.pdf;jsessionid=DFC44CA7190C3354F690F727E7515AEE.intranet261 (bund.de)

Deloitte (2020): Paper “Wettbewerb um Servicetechniker – Drei Erfolgsstrategien für Maschinen- und Anlagenbauer“
IPuC_WettbewerbumServiceTechniker_DE_final.pdf (deloitte.com)

Deutsche Industrie- und Handelskammer (2022): DIHK-Report „Fachkräfteengpässe – weiter steigend“
DIHK-Fachkräftereport_2022

Die Presse (2022): Artikel „Das ist die Renaissance des Wissensmanagements“
Das ist die Renaissance des Wissensmanagements | DiePresse.com

Kothes (2022): Insight Report „Welche Informationen braucht der Service?
Insight-Report-Service 2022 – Welche Informationen braucht der Service (kothes.com)

Senseye (2022): Industry Report “The True Cost of Downtime 2022How much do leading manufacturers lose through inefficient maintenance?”
Whitepaper True Cost Of Downtime 2022 (siemens.com)