Lesedauer ca. 3 Minuten

Das Baden-Württembergische Familienunternehmen Kärcher wurde erst kürzlich beim Wettbewerb „Fabrik des Jahres“ in der Kategorie „Hervorragende Standortentwicklung“ ausgezeichnet – und das hat seinen Grund. Ein Gespräch mit Wolfgang Thomar, Executive Vice President Factories Germany and Factory Engineering bei Kärcher, über Industrie 4.0 und Digitalisierung in der Produktion.

Wenn der Name „Kärcher“ fällt, denken die meisten Menschen zuerst an ein ganz analoges Thema: Hochdruckreiniger. Wie und wann hat die Industrie 4.0 bei Kärcher Einzug gehalten?

Wenn wir Automatisierung, den Einsatz von Robotern oder vernetztes Arbeiten mit ERP-Systemen dazu nehmen, so gehen wir weit in das letzte Jahrhundert zurück, also weit bevor der Begriff Industrie 4.0 aufkam. Als aber eben dieser Begriff, oder das Schlagwort IoT, diskutiert wurde, haben wir sehr schnell gemerkt, dass dies höchst spannend für uns sein kann. Unsere erste Industrie 4.0-Produktionslinie, in der Stationsweise via RFID-Chips der Arbeitsinhalt ausgelesen und an Bildschirmen sowie pick-by-light-Systemen angezeigt wird, startete 2015. Diese hatten wir gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut und unserem Kärcher Productivity System realisiert.

Haben Sie für uns einige Beispiele, wie die Automatisierung die Produktion beziehungsweise Montage bei Kärcher verändert hat?

Automatisierung und Digitalisierung haben sehr stark die Durchlaufzeiten reduziert, aber auch unsere Produkte und unsere Entscheidungen beeinflusst. In der Montage ist das Bedienen von Touchpanels und Scannern normaler Arbeitsalltag geworden. Die Komplexität mancher Produkte ließe sich ohne einen gewissen Grad an Automatisierung und Digitalisierung in der Produktion gar nicht mehr realisieren, weil der manuelle Aufwand sonst viel zu hoch wäre.

In den vergangenen Jahren wurde viel über die Marktreife selbstfahrender Autos diskutiert. Bei Kärcher gehören autonome Gabelstapler bereits zum Alltag. Wie ist es dazu gekommen und welche Erfahrungen haben Sie bislang mit den „Fahrerlosen Transportsystemen“ (FTS) gemacht?

Zum einen sind FTS sehr produktiv. Sie bewältigen längere Strecken innerhalb eines Werkes sehr kostengünstig. Über Doppelspiele (bringen und holen von Bauteilen oder Fertigwaren) lassen sich Leerfahrten vollkommen vermeiden, alles wird voll automatisiert gesteuert.

Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Wie könnte der Arbeitsplatz des Schichtleiters in zehn Jahren aussehen?

Zehn Jahre sind eine lange Zeit, vor zehn Jahren gab es noch kein iPhone. Es wird in zehn Jahren weit bessere Sensoren geben. Jedenfalls wird er daher über Echtzeitinformationen verfügen und sein Arbeitsplatz wird zu 99,9% digital funktionieren. Wir haben schon einen Großteil der papierbezogenen Prozesse im Werk abgeschafft und werden das auch weiter vorantreiben. Und er wird wohl eher sprachunterstützt als über eine Tastatur Daten analysieren. Weiterhin wird er sich aber um seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kümmern. Bei aller Digitalisierung und den Vorteilen der Weiterentwicklung durch Technik darf man die Wichtigkeit des Mitarbeiters am Montageband und die Verbindung zu ihm nie unterschätzen. 

Wolfgang Thomar
Wolfgang Thomar ist Executive Vice President Factories Germany and Factory Engineering bei Kärcher.

Bietet die zunehmende Digitalisierung der Produktion aus Ihrer Sicht ausschließlich Chancen oder birgt sie auch Risiken?

Die Chancen einer transparenten Lieferkette End-2-End, also vom Kunden zum Lieferanten, sehen wir als sehr groß an. Jederzeit Echtzeitinformationen zu haben, diese zu analysieren und kurzfristig Entscheidungen zu treffen hat sicherlich auch seine Kehrseite, Menschen müssen diese auch verarbeiten können und vor allem muss es auch eine datenfreie Zeit geben.

Welche Rolle spielt für Sie der Unternehmensstandort in Baden-Württemberg?

Baden-Württemberg ist für unser Familienunternehmen natürlich Heimat und Verpflichtung. Wir haben hier hervorragend ausgebildete Menschen, die teilweise über Generationen hinweg bei Kärcher arbeiten. Darauf sind wir stolz. Aber auch der Zugang zu Wissenschaft und Forschung spielt eine Rolle. An Projekten wie dem Cyber Valley sieht man, dass sich die Region auf die Zukunft einstellt und den Anspruch hat auch in vielen Jahren noch zur Weltspitze zu gehören – das ist auch für uns ein wichtiges Ziel.