Lesedauer ca. 5 Minuten

520 Wochen – das ist der Zeitraum, den Zukunftsforscher Lars Thomsen in Hinblick auf Veränderungen in Wirtschaft, Technologie und Gesellschaft untersucht. Wird es Entwicklungen geben, die gar Paradigmenwechsel auslösen? Und was wird in 10 Jahren der Motor sein, der uns antreibt? Vergangene Woche gab Lars Thomsen auf dem „InfoMarkt“ des CyberForums Einblicke in unsere Lebenswelt der Zukunft. In einem vorherigen Interview befragte ich ihn über die Zukunft der Arbeit.

Für seine Forschungsarbeiten fokussiert sich Thomsen unter anderem auf Tipping-Points, also auf einzelne Umschlagmomente, die eine bisherige lineare Entwicklung plötzlich abbrechen lassen. Ein vorheriges Paradigma wird durch ein neues ersetzt: die Lebensweise, Arbeit oder Mobilität von Menschen verändert sich dadurch drastisch. Einer der technischen Umschlagpunkte der Vergangenheit war beispielsweise die Entwicklung von Digitalkameras, die Analogkameras fast komplett vom Markt verdrängten.

Damit sich eine neue Technologie durchsetzt, spielen unter anderem Marktreife, Preis und Effizienz eine Rolle. Den Zeitpunkt des Durchbruchs eines Paradigmas ermittelt der Zukunftsforscher unter anderem anhand externer, sozio-ökonomischer Daten und Trendscouting. Derzeit beschleunigt sich der technische Fortschritt in vielen Bereichen parallel und ermöglicht die Verbindung verschiedener Komponenten zu einem neuen Produkt.  Zu den technischen Tipping-Points ab 2020 zählen künstliche Intelligenz, selbstfahrende Autos und 3D-Druck.

Technischer Fortschritt: Das Virus, das uns arbeitslos macht?

Die Zukunft unserer Arbeitswelt ist ein Dauerbrenner in den Medien. Das ist nicht weiter schlimm, da Menschen daran interessiert sind, wie ihr Leben in Jahren oder Jahrzehnten aussehen wird. Oftmals entwerfen die Medien allerdings ein düsteres, fast dystopisches Bild: Maschinen, die in Konkurrenz mit dem Menschen treten und diesem den Arbeitsplatz wegnehmen. Tatsächlich wird es in Zukunft Entwicklungen in der Robotik und künstlicher Intelligenz geben, die Routinetätigkeiten ersetzen. Dies gilt nicht nur für physische Tätigkeiten. Künstliche Intelligenz ist bereits in der Lage, Kohärenzen zwischen gesammelten Daten zu berechnen und könnte somit den Data Analysten oder Menschen, die in der Administration arbeiten, ersetzen. Dass wir mitten in diesen Entwicklungen sind, zeigt beispielsweise der kürzlich eröffnete, kassenlose Supermarkt Amazon Go.

Lars Thomsen betonte, dass wir uns in einer Phase befinden, in der wir nicht mehr von Digitalisierung, sondern von künstlicher Intelligenz sprechen: „Das neue ist, dass Maschinen in die Lage versetzt werden, menschliche Sprache zu verstehen, zu interpretieren, untereinander zu lernen sowie Gestik und Mimik zu erkennen“, so Thomsen. Der Knackpunkt liegt für ihn im Lernen, da vorher jegliche Interaktion eines Computers programmiert werden musste. Weiter noch werden laut Thomsen in den nächsten 10 Jahren 20-30% der heutigen Arbeitsplätze günstiger, besser und schneller mit Computern, Robotern und Algorithmen machbar sein.

Das klingt alles nicht gerade optimistisch und erklärt die häufigen Digitalisierungsdebatten in den Medien.  Jedoch, und das ist wichtig – diese Verlustangst ist nichts Neues. Schon die Dampfmaschine, die Ende des 18. Jahrhunderts die industrielle Revolution einleitete, sorgte für enorme soziale Spannungen und Veränderungsängste. Das Spektrum der Berufe wandelte, aber erweiterte sich. So wird es laut Thomsen auch in Zukunft sein. Was passiert nun aber mit den Menschen, die in Tätigkeitsfeldern arbeiten, die künftig wegfallen werden?

Lars Thomsen
Zukunftsforscher Lars Thomsen während seiner Keynote. (Bild: CyberForum)

Kein Schönreden von Tatsachen

Das Besondere und vor allem besonders Herausfordernde an der jetzigen Situation ist laut Thomsen der Zeitfaktor: Die enorme Geschwindigkeit, in der neue Erfindungen gemacht werden, die die Zukunft der Arbeit prägen werden, sowie die Echtzeitübertragung von Wissen. Es kommt die Frage auf, ob die Gesellschaft so einer Geschwindigkeit überhaupt standhalten kann. Die Angst, der Verlierer in dieser Entwicklung zu sein, ist groß. Auch Staatssysteme oder unser Steuersystem, wie wir es kennen, kommen durch diese Entwicklungen ins Wanken, betonte Thomsen im Interview. Es entsteht der Wille, auf den Reset-Knopf zu drücken, oder wenigstens alles aufhalten zu können. Bedenken sind per se nicht falsch, allerdings, so stellte es auch der Wirtschafts- und Politikwissenschaftler Ayad Al-Ani fest, sollten sich Menschen mehr über Optionen, die eine Digitalisierung mit sich bringt, informieren, damit sie an der Gestaltung von Zukunft überhaupt teilhaben können.

Roboter konsumieren nicht

Lohnsteuern, Beiträge zu Sozial- und Rentenversicherung, sind Steuern, die bei Arbeitnehmern den größten Abzug ausmachen. Wenn nun 20-30% der Jobs wegfallen würden, so würde auch der Staat immer mehr an Einnahmen verlieren, da Roboter keinen Lohn erhalten. Wie wird also die Zukunft aussehen? Immer weniger Menschen werden gebraucht, um mehr Gewinn zu machen, somit hätten aber auch immer weniger Menschen Anteil an diesem Gewinn. Eine Krise der Arbeit könnte so schnell entstehen, wenn der Staat nicht hinterherkommt. Sei es mit einer Robotersteuer oder dem bedingungslosen Grundeinkommen – die gesellschaftliche Wertschöpfung muss schon zum jetzigen Zeitpunkt neu definiert werden, betonte Lars Thomsen. Diese Neudefinition muss im gesellschaftlichen, sozialen, wirtschaftlichen und moralischen Kontext geschehen, da Arbeit mehr als nur Lohn ist. Lars Thomsen prognostizierte ebenfalls, dass es die 40-Stunden-Woche in 20 Jahren nicht mehr geben wird.

Wertegemeinschaften: Die neue Organisationform 

Trotz allem sind talentierte Menschen ein knappes Gut. Doch nicht nur IT-Kenntnisse, sondern Soft Skills wie Kreativität, Empathie und Motivation, also alles Dinge, die der Computer nicht kann, werden zukünftig eine Rolle spielen. Auch prognostizierte Thomsen, dass wir keine Stunden, die wir in der Arbeit verbringen, zählen werden. Der Beitrag, den wir in einem Projekt oder einer Gruppe leisten, wird der treibende Motor sein. Die Aufteilung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wird sich ändern: Thomsen sieht, dass Firmen Wertegemeinschaften werden, denen Menschen beitreten, um ein Teil des Wertschöpfungsprozesses zu sein, statt mit dem Lohn-Scheck zu entscheiden.

Die Zukunft der Arbeit: Mein persönliches Fazit

Es wird Umwälzungen geben und sie kommen bald. Die Rolle der Politik wird sein, nicht die Augen zu schließen und zu tun, als gäbe es keine Veränderung. Nicht Wirtschaftswachstum und Konsumwachstum sind Werte, mit der man eine funktionierende Gesellschaft messen sollte.

Und: jeder Einzelne sollte sich über das breite Spektrum an Möglichkeiten, das vorhanden ist, informieren. Die Zukunft ist nicht vorgegeben, sondern wird von Menschen gestaltet Letztendlich nichts neues, da wir als Menschen täglich Entscheidungen treffen und diese treffen wir eben genau nach diesen persönlichen, moralischen Werten. Dieser Wille unsere Zukunft, Welt und Arbeit zu gestalten, zeigt sich heute schon bei der Generation Y. Flexible Arbeitszeiten, Nachhaltigkeit und ein kollegiales Umfeld sind die Werte einer Generation, der ich auch selbst angehöre.