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Die Arbeitswelt verändert sich rasant. Mittelfristig könnten Roboter und digitale Systeme in großem Umfang Personal ersetzen. Während Kritiker mit Massen von Arbeitslosen rechnen, sehen die Befürworter im Wandel die Chance für neue Berufe.

Im technischen Nationalmuseum von Tokyo ist seit Kurzem eine Attraktion zu bestaunen, die die Berufswelt revolutionieren könnte. Der japanische Roboterforscher Hiroshi Ishiguro zeigt dort den weltweit ersten Roboter-Nachrichtensprecher. Die aus künstlichen Muskeln und Silikon bestehende Maschine wird von Googles Betriebssystem Android angetrieben. Auf den ersten Blick ist der „Geminoid“ nicht vom Menschen zu unterscheiden: Er lächelt, blinzelt, zieht die Augenbauen hoch und spricht die Nachrichten fehlerfrei. Vorerst bleibt der Android noch ein Museumsstück. Ishiguro erwägt aber bereits den Einsatz im Kinderfernsehprogramm.

„Wir werden in Zukunft mehr und mehr Roboter um uns herum haben“, sagt Ishiguro und beschreibt einen Trend, der zusammen mit dem Buzzword Industrie 4.0 Prozesse in der Arbeitswelt verändern, Berufsfelder wandeln und die Wirtschaft ankurbeln soll: „Allein im Jahr 2012 wurde in Deutschland durch die Digitalisierung ein Wachstumsimpuls von rund 145 Milliarden Euro ausgelöst“, gab der Branchenverband Bitkom vor einigen Monaten bekannt. Die Integration moderner Informationstechnologien in Unternehmen führe zu Wirtschaftswachstum und steigender Beschäftigung in allen Branchen. 2012 seien 1,46 Millionen neue Arbeitsplätze im Zuge der Digitalisierung entstanden.

140 Millionen Jobs gefährdet

Kritiker beeindrucken diese Zahlen wenig. Der positive Trend könnte sich in Zukunft umkehren. Mit dem rasanten Fortschritt im Bereich der Informationstechnologie sowie auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz steigt die Leistungsfähigkeit von Computern so weit, dass sie in einigen Jahrzenten den Menschen die Arbeitsplätze streitig machen. Carl Benedikt Frey und Michael A. Osborne skizzieren diese Entwicklung in ihrer Veröffentlichung „The Future Of Employment: How Susceptible Are Jobs To Computerisation?„. Die beiden Forscher der Universität Oxford errechneten in einem Modell, dass von insgesamt 702 Berufen in den USA 47 Prozent mit hoher Wahrscheinlichkeit von Computerisierung gefährdet sind. Betroffen seien vor allem die Branchen Transport, Logistik, Produktion, Administration und Service.

Dass Maschinen menschliche Arbeitskraft ersetzen, ist nicht neu. Roboter fertigen und montieren Bauteile, transportieren Essen, bauen Rohstoffe ab, polieren Böden, bringen die Ernte ein oder prüfen die Qualität von Wasserleitungen. Programme übernehmen Aufgaben von Buchhaltern oder fungieren als Telefonberater. Laut der Forscher Frey und Osborne ist jedoch anzunehmen, dass die Automatisierung sowohl an Qualität als auch Quantität zunimmt. Das schließe auch nicht routinierte, kognitiv anspruchsvolle Tätigkeiten ein.

Sicher: Die menschliche Wahrnehmung, Kommunikation und Kognition lässt sich in ihrer Perfektion noch lange nicht simulieren. Der Weg dahin ist jedoch bereitet. Forscher versuchen auf den Gebieten des Affective Computing und der Social Robotics, unsere Sozialkompetenz zu kopieren. Hochentwickelte Sensoren und komplexe Algorithmen ermöglichen bereits heute voll automatisierte anspruchsvolle Tätigkeiten. Matthias Hagen, Professor an der Bauhaus-Universität Weimar, stimmt der Prognose von Frey und Osborne im Interview mit Der Westen zu: „Auch die Arbeit von gut ausgebildeten Menschen wird ersetzbar sein.“ Das McKinsey Global Institute etwa prognostiziert, dass bis 2025 weltweit 140 Millionen Jobs sogenannter Wissensarbeiter durch intelligente Technik ersetzt werden.

Erste Beispiele sind bereits vor allem im Dienstleistungssektor im Einsatz: Flauschige Roboter unterstützen zum Beispiel das chronisch unterbesetzte Pflegepersonal in Japan. Google stellte im Mai einen neuen Prototyp seines fahrerlosen Autos vor. Ein US-amerikanisches Unternehmen präsentierte eine Maschine, die 360 Hamburger in einer Stunde zubereitet. Auch bei Tätigkeiten mit Bezug zu Data Mining haben Computer bereits die Führung übernommen – zumindest in Sachen Informationsverarbeitung und -auswertung, etwa bei journalistischer oder juristischer Recherche, medizinischer Diagnose oder der Anlageberatung im Finanzsektor. Für die L.A. Times schreiben Computer mittlerweile Zusammenfassungen von Sportereignissen. „Unternehmen müssen sich früh auf die Zukunft vorbereiten“, sagt Michael Geke, Personal-Experte bei der Beratungsgesellschaft KMPG. „Sie müssen sich fragen, welche Arbeit, welche Fähigkeiten könnten bald von künstlicher Intelligenz übernommen werden? In Bezug auf automatisierbare Tätigkeiten können Menschen nicht gegen die Technik gewinnen – sie müssen einfach lernen mit ihr zusammen zu arbeiten.“

Kein Anlass zur Beunruhigung

Bei der Bundesagentur für Arbeit geben die Hochrechnungen für die USA allerdings noch keinen Anlass zur Beunruhigung. Pressesprecher Jürgen Wursthorn erklärte dem IT-Nachrichtenportal Golem, dass „allein die fortschreitende Technologie die Arbeitslosenzahlen nicht steigen lassen wird. Sollten Roboter eines Tages so weit sein und Fachkräfte in ihrer heutigen Tätigkeit ersetzen können, wird es im Gegenzug neue Berufsfelder geben, wo eben diese Fachkräfte wieder gebraucht werden.“

Jener zweite mögliche Effekt der Computerisierung – das räumen Frey und Osborne selbst ein – wird in der Modellrechnung der Forscher jedenfalls nicht berücksichtigt. Ihre Prognose zeigt jedoch, Politik, Unternehmen und Beschäftigte sind zukünftig herausgefordert. Noch bessere Aus- und Weiterbildung ist gefragt, vor allem bei gering qualifizierten Beschäftigten, aber möglicherweise auch dem „Facharbeiter am Band“, wie Nico Lumma in seiner Kolumne für das Handelsblatt schreibt.

Indes hat Hiroshi Ishiguro schon eine Kopie von sich selbst bauen lassen. Laut Daily Mail soll die Attrape für ihn im Ausland Vorlesungen halten. Auf diese Weise müsse er für seine Arbeit weniger reisen.

Hiroshi Ishiguro und Kopie
Welcher ist Kopie und welcher Original? Hiroshi Ishiguro hat eine Kopie von sich selber nachbauen lassen. (Bild: Hiroshi Ishiguro Laboratory, ATR)