Wer kennt die Situation nicht: Am Samstagmorgen ist im Möbelgeschäft vor Ort das perfekte Sofa für das eigene Wohnzimmer schnell gefunden. Der azurblaue Bezug passt perfekt zum Schrank und den Lampen im vertrauten Heim, bequem ist die Couch auch noch. Was kann jetzt noch dem ersten Probesitzen beim Filmabend im Wege stehen? Die Antwort hat der Fachberater im Möbelgeschäft: „Bei dieser Couch müssen Sie mit einer Lieferzeit von vier bis sechs Wochen rechnen“.
Worin liegen die Gründe für die Geduldsprobe beim Möbelkauf? Warum vergeht eine derart große Zeitspanne zwischen Kauf und Erhalt des Möbelstücks? Eine Umfrage des Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrums Stuttgart hat untersucht, warum Lieferprozesse in der Möbelindustrie mehr Zeit in Anspruch nehmen, als in anderen Branchen und wie digitale Lösungen diese Zeit verkürzen können.
Wie setzt sich die Lieferzeit beim Möbelkauf zusammen?
Die deutsche Möbelindustrie ist stark mittelständisch geprägt. Hinzu kommt die enorme Bedeutung von Zwischenhändler in der Branche. Lediglich 10 % der versendeten Möbelstücke gehen direkt an Endkunden. Viele kleine Unternehmen sind daher in die Produktions- bzw. Lieferkette eingebunden. Das bedeutet auch, viele unterschiedliche Standards und Systeme bei den Firmen. Diese Zersplitterung erschwert es, gemeinsame digitale Lösungen über die gesamte Wertschöpfungskette einzubinden.
Fehlende Standards als Bremse
Aktuell werden beim Wareneingang als auch beim Warenausgang die meisten Dokumente per Email ausgetauscht. An zweiter Stelle kommen EDI und Onlineportale. EDI (Electronic Data Interchange) ist ein Sammelbegriff für Standardisierungen beim unternehmensübergreifenden Austausch von Daten. Will der Kunde schneller an sein azurblaues Sofa kommen, müssen solche automatisierte Schnittstellen ausgebaut werden. Noch fehlen gemeinsame Standards. Ohne gemeinsame Standards können keine digitalen und automatisierte Systeme funktionieren.
Jana Deckers, Abteilungsleiterin – Process & Data Management in Engineering (PDE) am FZI Forschungszentrum Informatik sieht mit Blick auf die Umfrage jedoch einen Trend zum Positiven: „Wir können feststellen, dass die Möbelhersteller und -Händler diesen Schwachpunkt erkennen. Die Mehrheit fordert eine bessere und engere Zusammenarbeit. Dabei beurteilen die Unternehmen den Datenaustausch innerhalb der Firmen und mit externen Geschäftspartnern als grundsätzlich wichtig.“ Dies verwundert nicht, da die digitalen Kanäle immer wichtiger werden, analoge jedoch bestehen bleiben und die Komplexität damit zunimmt. Die Mehrheit der befragten Hersteller bespielt mehrere Kanäle. So verkaufen 95 % ihre Möbel sowohl online als auch stationär (65 %).
Lieferschein, RFID und Automatisierung
Ein weiterer Prozessbeschleuniger ist die Digitalisierung von Lieferscheinen. Diese werden immer noch überwiegend in Papierform ausgestellt. Bei der Überprüfung der eingegangenen Waren kontrollieren 33 % der Befragten diese direkt über zuvor vom Zulieferer erhaltene Stammdaten (Barcode oder RFID). Anschließend werden die Daten in das interne System eingebucht. Dieses Drittel kann hier auf eine rasche Buchung setzen und somit die Ware effizienter umschlagen. Allerdings packen 17 % der Möbelhändler die angelieferte Ware immer noch aus, prüfen sie und buchen sie anschließend einzeln ein. Ein enormer Zeitaufwand, der sich bei der Wartezeit des Kunden niederschlägt.
Es darf gehofft werden, dass dies sich in Zukunft ändert. Immerhin sagen 17 %, dass ein System zur Planung der Anlieferung gerade eingerichtet werde. „Diese Ergebnisse zeigen uns eindeutig, dass der sogenannte ‚Brennpunkt Rampe‘ deutliche Effizienzreserven hinsichtlich der Digitalisierung birgt“, so Dietmar Weber, Geschäftsführer bei der Iwofurn GmbH. Der Dienstleister zur Digitalisierung unternehmerischer Prozesse ist auf die Möbel- und Einrichtungsbranche spezialisiert und unterstützte die Umfrage.
Modernisieren heißt investieren
Automatisierte Buchungssysteme setzen Potentiale bei den Firmen frei. Wie die Umfrage zeigt, sind sich die Unternehmen dieser Chancen bewusst. Sie scheuen jedoch die bürokratischen Hürden. Auch die angesprochenen parallel existierende Systeme wirken hemmend. Nicht zuletzt stehen die Investitionskosten einer Umsetzung im Wege. Den Kosten auf der einen Seite, stehen auch Gewinnchancen auf der anderen Seite gegenüber. Mit Technologien wie 3-Druck ergeben sich im Bereich von individualisierten Möbelstücken neue Möglichkeiten. Alle befragten Endkunden gaben an, dass sie bereit sind, für ein individualisiertes Möbelstück mehr zu bezahlen. Gerade Möbelhändler vor Ort können von dieser Zahlungsbereitschaft beim Kunden profitieren. Nach wie vor erstehen die meisten Endkunden ihre Möbel beim regionalen Fachhandel. Nahezu 80 % der Befragten haben ihr letztes Möbelstück dort gekauft.
Hintergrund zur Umfrage
Zwischen 14. Januar und 20. April 2019 wurden zielgruppenbezogen 54 Teilnehmer befragt. Die 15 Fragen wurden online von 20 Möbelherstellern, acht Möbelhändlern und 19 Endkunden beantwortet. Die Umfrage wurde im Rahmen des Mittelstand 4.0 Kompetenzzentrum Stuttgart vom FZI Forschungszentrum Informatik und der Iwofurn GmbH durchgeführt.
Was ist Mittelstand-Digital?
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