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Für die Vermittlung von Programmier-Fähigkeiten an Schulen braucht es geeignete pädagogische Konzepte wie Computational Thinking. Dr. Ulf Kerber arbeitet in der Abteilung für Digitale Bildung und Medienbildung an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe und weiß, wie Computational Thinking helfen kann, Kindern schon früh die Grundlagen algorithmischen Denkens zu vermitteln.

Bundeskanzlerin Merkel bezeichnet die Fähigkeit, Coden zu können, als Basisfähigkeit, die Schülerinnen und Schüler neben Lesen, Schreiben und Rechnen an der Schule lernen sollten. Doch wie wird die Vorbereitung auf Leben und Arbeiten in der digitalisierten Welt konkret umgesetzt? Das ist Sache der Schulen – und damit im Kompetenzfeld der Lehrkräfte.

Die Pädagogische Hochschule in Karlsruhe bildet Lehrkräfte aus und führte im Wintersemester 2018/2019 die Fächer Medienbildung und Digitalkunde verpflichtend für alle Studierenden ein. Programmieren ist da nur eines von vielen Kompetenzfeldern. Dr. Ulf Kerber leitet die Abteilung Digitale Bildung und Medienbildung.

“Kinder müssen lernen, logisch und problemlösungsorientiert zu denken. Das war schon immer ein wichtiges Ziel der Pädagogik, das aber im Zeitalter des immer schneller werdenden digitalen Wandels nun eine viel größere Bedeutung erhält.Nur dann können sie später auch gut programmieren,” sagt er. “Einfach nur Technologie auf die Schulen zu werfen, ist keine Lösung. Pädagogische Strategien, Konzepte und entsprechend ausgebildetes Personal sind hierzu dringend notwendig.”

Der DigitalPakt, den Bund und Länder zuletzt beschlossen haben, reiche als Maßnahme nicht aus. Aus Kerbers Sicht ist ein Umdenken in der Ausbildung von Lehrkräften und in den Lehrmethoden notwendig – und zwar flächendeckend.

Dr. Ulf Kerber arbeitet in der Abteilung für Digitale Bildung und Medienbildung an der Pädagogischen Hochschule. (Bild: Joachim Specht)

Computational Thinking: die Grundlage für algorithmisches Verständnis

Der Blick auf das immer noch wilhelminisch geprägte Schulsystem ist ernüchternd. Druckbetankung und Auswendiglernen nach festen Mustern fördert alles mögliche – nicht aber das kreative und problemlösungsorientierte Denken. Dabei ist es gerade das, was in einer digitalisierten Welt dringend nötig ist.

“Kinder sollten bereits ab der Grundschule lernen, Probleme zu analysieren, Muster zu erkennen, Prozesse zu definieren und die Erkenntnisse zu übertragen,” erklärt Kerber. Dafür brauche es zunächst mal kein WLAN und Tablets für alle Schülerinnen und Schüler, sondern sogenanntes Computational Thinking. Bei diesem Konzept geht es darum, problem- und lösungsorientiertes Denken zu schulen.

Doch damit nicht genug: Computational Thinking stärkt Kompetenzen wie generelle Problemorientierung und forschend-entdeckendes Lernen. Dabei bietet es den Mehrwert, das Kinder die Digitalisierung besser verstehen. Außerdem hat der Ansatz großes Potenzial, Mädchen stärker für technische Berufe zu interessieren.

Marmeladenbrot-Aufgaben statt teurer Technik

Teure technische Ausstattung ist dafür zunächst nicht notwendig. Die Grundlagen vermitteln Lehrkräfte an Grundschulen mitunter ganz ohne Technik, wie ein charmantes Beispiel aus England zeigt: Die Kinder bekamen die Aufgabe, die Lehrerin via Anweisungen ein Marmeladenbrot schmieren zu lassen. Sie folgte dabei jedoch ganz streng den konkreten Aufforderungen der Kinder, wie “Öffne die Brottüte”, “Nimm eine Scheibe Toast heraus”, “Öffne die Butterdose”, Nimm das Messer in die Hand”, und so weiter. Mit der Anweisung: “Nimm das Brot, die Butter und die Marmelade” kann beispielsweise eine Maschine nichts anfangen, weil die Aufgabe nicht in Teilaufgaben und Einzelschritte zerlegt ist.

Es stellte sich heraus: Zweitklässler haben massive Schwierigkeiten, einen scheinbar simplen Vorgang wie das Schmieren eines Brotes in Teilprobleme zu zerlegen und diese anschließend zu lösen. Genau hier setzt Computational Thinking an. Kinder lernen anhand solcher einfachen Aufgaben, wie sie algorithmisch denken. Die Kosten bis dahin: Null.

Karlsruher Technik-Initiative setzt Computational Thinking um

Mit steigenden Jahrgangsstufen und komplexeren Aufgaben spielt dann auch die technologische Ausstattung eine Rolle. Computational Thinking vermittelt das informatische Denken, doch umsetzen und üben müssen die Schülerinnen und Schüler es, indem sie digital arbeiten – vom Videoschnitt bis zum selbst programmierten Spiel. Für diesen Zweck benötigen weiterführende Schulen eigens eingerichtete Makerspaces und Lernlabore, in denen die Kinder und Jugendlichen auch außerhalb des regulären Unterrichts arbeiten können.

Erste Projekte, die Computational Thinking vermitteln und Makerspaces aufbauen, gibt es im Rahmen der Karlsruher Technik-Initiative, an der unter anderem die Pädagogische Hochschule und das CyberForum e.V. beteiligt sind.

An Schulen wären solche Projekte mit der passenden Ausstattung leicht umsetzbar, zum Beispiel im Biologieunterricht. Mit Hilfe eines Embedded Systems wie MicroBit und einem mit Scratch selbst erstellten Programm bauen die Kids einen Pflanzenwächter mit Feuchtigkeitssensor. Er gibt ein Signal aus, wenn die Pflanze Wasser braucht. Auch Schrittzähler oder der sprechende Hut aus Harry Potter lassen sich nachbauen. So macht algorithmisches Denken plötzlich Spaß, weil es mit den Interessen und der Lebensrealität von Kindern und Jugendlichen zu tun hat.

Programmierunterricht muss nicht verpflichtend sein

Das Ziel muss sein, Computational Thinking immer stärker in den pädagogischen Alltag an Schulen zu integrieren. Wenn erst algorithmisches Denken verinnerlicht ist, fällt Coding-Unterricht leichter – und macht mehr Spaß. Verpflichtender Unterricht im Rahmen eines einzelnen Unterrichtsfaches sei dafür nicht notwendig, so Kerber, vielmehr sollte das in möglichst vielen unterschiedlichen Fachkontexten durchgeführt werden, wie etwa im Kunst oder Sachunterricht. Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler sollten sich frei entscheiden, ob und wie sie das Wissen technisch anwenden.

Wichtiger sei es, Computational Thinking grundsätzlich fest im Bildungsplan zu verankern. Das ist in Großbritannien, Österreich und anderen Ländern längst geschehen. In Deutschland ist davon noch wenig zu sehen. In der MINT-Region Karlsruhe gibt es zahlreiche Initiativen, die sich dafür einsetzen, doch schlussendlich ist es eine Frage der Zeit und des politischen Willens, Computational Thinking in die Lehrpläne zu schreiben.

Klar ist: Mit Hilfe von Computational Thinking lernen Kinder, algorithmisch zu denken. Damit ist das Konzept der erste Schritt, um Coding bereits an Schulen zu vermitteln. Die passende Programmiersprache für die Umsetzung ist dann nur noch Spezialisierung.