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Für Produktmanager*innen ist es im Softwareentwicklungsprozess von großer Bedeutung, eine produktorientierte Denkweise einzunehmen. Diese sollte sich auf den langfristigen Erfolg des Produkts konzentrieren und sicherstellen, dass es stets die bestmögliche Kundenerfahrung bietet. Obwohl ein Großteil der täglichen Arbeit auf kurzfristige Aufgaben und kontinuierliche Fortschritte fokussiert ist, behält ein*e erfahrene*r Produktmanager*in stets das große Ganze im Blick. 

Aber welche Bedeutung hat ein Produkt-Mindset für Entwickler*innen? Und warum ist es für Software-Engineers genauso wichtig wie für Produktmanager*innen? In diesem Artikel werden einige praktische Tipps vorgestellt, die den Entwickler*innen helfen können, eine produktorientierte Denkweise zu entwickeln und zu stärken. Das kann ihre Karriere verbessern und langfristig eine größere Wirkung zu erzielen:

1. Fokus auf langfristigen Produkterfolg legen

Das Fokussieren auf den langfristigen Erfolg des Produkts hat unterschiedliche Bedeutungen auf verschiedenen Ebenen. Für das Unternehmen bedeutet dies nachhaltiges Wachstum, Maximierung des ROI, Erreichung langfristiger Geschäftsziele und Begeisterung der Kund*innen.

Doch wie sieht es für die Entwickler*innen aus? Indem sie eine produktbezogene Denkweise und Kommunikation erlernen, können sie ihre Leistung steigern und ihre berufliche Entwicklung vorantreiben. Eine produktbezogene Denkweise verknüpft alltägliche Aufgaben mit dem größeren Ganzen und erhöht den Wert der eigenen Arbeit, indem sich Entwickler*innen auf Bereiche konzentrieren, die die größte Wirkung erzielen.

2. Das Produkt wie das eigene behandeln

Wenn ein Produkt wie das eigene behandelt wird, entsteht eine Bindung dazu, welche das gesamte Team bei der Verbesserung des Produkts unterstützt. Dieser Ansatz führt zu einigen Prinzipien, welche die Entwicklung einer produktorientierten Denkweise fördern können. Eine langfristige Anwendung dieser Prinzipien kann auch für die Karriere der Entwickler*innen von Vorteil sein:

  • Eine Produktvision erarbeiten: Diese Vision sollte nicht nur von den Produktmanager*innen formuliert werden, sondern ist etwas, an dem das Team gemeinsam arbeitet. Es ist wichtig, dass die Entwickler*innen in jeder Phase der Planung an der Gestaltung der Produktvision beteiligt sind. Ideen und die Vision sollten also proaktiv geteilt werden, wenn Entwickler*innen und Produktmanager*innen an den gemeinsamen Diskussionen teilnehmen.
  • Transparente Prozesse schaffen: Das bedeutet, dass der funktionsübergreifenden Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen Produkt- und Engineering-Teams Priorität eingeräumt wird.
  • Kontinuierliche Verbesserung des Produkts anbieten: Man sollte darüber nachdenken, was am Produkt verbessert werden könnte und Wege finden, diese Optimierungen umzusetzen.
  • Datengestützte Entscheidungen treffen: Der technische oder produktbezogene Entscheidungsprozess muss sich auf Daten stützen und nicht nur auf Intuition. Es ist jedoch wichtig, alle Daten bewusst zu nutzen und Raum für Kreativität und unkonventionelles Denken zu lassen.
  • Sich auf die Nutzerzufriedenheit fokussieren: Ein nutzerzentrierter Ansatz sorgt dafür, dass das Produkt gefragt ist. So sorgt ein gutes Verständnis über die Probleme und Bedürfnisse der tatsächlichen Nutzenden dafür, dass diese auch gelöst und bedient werden.
  • Geschäftsergebnisse liefern: Das Erreichen strategischer Ziele ist der Treibstoff für den Erfolg des Unternehmens. Softwareentwickler*innen sollten einen starken Beitrag zum Erreichen dieser Ergebnisse leisten.

3. Aktiv mit dem Produktteam zusammenarbeiten

Vertrauen und Kommunikation zu stärken, ist der Schlüssel. Softwareentwicklerinnen und -entwickler können in diese aktive Partnerschaft investieren und sie bestmöglich nutzen, indem sie Gelegenheiten schaffen, um auf die Expertise des Produktmanagements zurückzugreifen. Daher sollten regelmäßige Meetings mit Produktmanager*innen eingerichtet und deren Erfahrungen sowie Erkenntnisse aktiv aufgenommen werden.

Der Nutzen ist gegenseitig, denn Entwickler*innen können auch eine Fülle wertvoller Informationen teilen, die nicht unbedingt in regelmäßigen Teammeetings zur Sprache kommen würden. Zum Beispiel wissen Softwareentwickler*innen viel mehr darüber, was in der aktuellen Produktversion verbessert werden könnte. Indem sie diese Einblicke in diese technischen Aspekte teilen, helfen sie dem Team des Produktmanagements, Prioritäten zu setzen und zu bestimmen, was als Nächstes angegangen werden soll.

Es ist auch wichtig, dass Entwickelnde proaktiv zusammenarbeiten und Feedback an Produktmanager*innen geben. Proaktive Zusammenarbeit bedeutet, über wichtige anstehende Aufgaben lange im Voraus Bescheid zu geben, bevor sie kritisch werden. Wenn zum Beispiel ein Softwareentwickler oder eine -entwicklerin die Möglichkeit sieht, etwas an der Infrastruktur zu verbessern, ist eine proaktive Kommunikation mit dem Produktmanagement und die Erläuterung der potentiellen Risiken wichtig. Denn oft sind diese nicht unmittelbar im Produktinterface erkennbar. Durch rechtzeitiges Feedback werden Probleme gelöst, bevor der Fortschritt der Produkt-Roadmap gefährdet ist.

4. Die richtigen Fragen stellen

Für Entwickler*innen ist es ebenfalls ratsam, gemeinsam mit dem Produktmanagement die folgenden Fragen zu besprechen. Eine solche Abstimmung ist nicht nur zu Beginn des Prozesses von Vorteil, sondern auch später im Produktentwicklungszyklus als regelmäßiger Check-In – um sicherzustellen, dass alle Beteiligten auf einer Linie sind und bleiben. Diese Fragen können entweder im Zusammenhang mit dem gesamten Produkt oder im Kontext eines bestimmten Features diskutiert werden.

  • Wer sind die Benutzer*innen?
    Um das Produkt effektiver für die Nutzergruppe zu gestalten, sollten allen Beteiligten die Besonderheiten der Zielgruppe bewusst sein.
  • Welches Problem wird gelöst?
    Diese Frage sollte in jeder Phase des Produktentwicklungsprozesses im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen.
  • Was ist das einzigartige Wertversprechen? Oder: Was ist der Wettbewerbsvorteil?
    Es ist von entscheidender Bedeutung zu verstehen, was das Produkt von anderen Produkten auf dem Markt unterscheidet und warum die Nutzer*innen es wählen. Wenn Ingenieur*innen dies gut verstehen, können sie sich stärker auf diese Unterscheidungsmerkmale konzentrieren und ihre Arbeit aufwerten.
  • Wie wird der Erfolg gemessen?
    Allgemein gilt, dass man nichts verbessern kann, was man nicht messen kann. Daher muss man sich von Anfang an mit dem Produktmanagementteam über die verfolgten Metriken abstimmen.
  • Was ist das Geschäftsmodell?
    Wenn man die Besonderheiten des eigenen Monetarisierungsmodells gut versteht, können weitere Ideen zur Verbesserung der Konversion entwickelt werden.
  • Welche Alternativen gibt es?
    Es ist auch ratsam, sich regelmäßig über die anderen Marktteilnehmer zu informieren und Updates über ihre Arbeit zu verfolgen.

Diese Fragen mögen offensichtlich erscheinen, aber sollten nicht unterschätzt werden. Die Antworten können Entwickelnden dabei helfen, die Kund*innen und Produktstrategie des Unternehmens besser zu verstehen und das Produkt-Mindset weiterzuentwickeln.

5. Die Empathie für Nutzende kontinuierlich steigern

Empathie für Nutzer*innen zu entwickeln bedeutet in erster Linie, das Verständnis für ihre Probleme und Motivationen zu bilden. Es gibt einige nützliche Instrumente, die dabei helfen können, dieses Verständnis zu vertiefen – darunter auch die Nutzerforschung. Sowohl qualitative als auch quantitative Daten sind erforderlich, um die Bedürfnisse und Wünsche der Kund*innen besser zu verstehen und zu bedienen. Im Folgenden sind einige der Möglichkeiten aufgeführt, wie Entwickler*innen solche Informationen erhalten können:

  • Interviews: Wenn möglich, sollten Entwickelnde an tiefgreifenden Benutzerinterviews oder Fokusgruppenstudien teilnehmen, sie beobachten oder zuhören. Das kann ihnen ein Gefühl für reale Benutzerprobleme geben.
  • Umfragen: Entwickler*innen können das Produktteam bitten, die Ergebnisse von Nutzerumfragen mit ihnen zu teilen. Sie liefern wichtige Erkenntnisse und helfen, über die aktuellen Nutzeranfragen informiert zu sein.
  • Nutzerfeedback: Wenn Interviews und Umfragen nicht verfügbar sind, können weitere Kanäle genutzt werden, um das Kundenfeedback zu analysieren. Auch eine etablierte Zusammenarbeit mit dem Kundensupport-Team kann sich als sehr hilfreich erweisen. Indem Produktmanager*innen und Entwickler*innen regelmäßig Feedback von Nutzenden erhalten und bearbeiten, können sie nicht nur das Produkt verbessern, sondern auch verstehen, welche Funktionen besonders gefragt sind. Daher ist die Einrichtung eines bequemen Kommunikationskanals mit dem Kundensupport-Team ratsam.
  • Usability-Tests und Forschung: Ingenieur*innen sollten Zugang zu Videos des Testprozesses sowie zu Kommentaren der Nutzenden haben. Dadurch können sie besser verstehen, wie Nutzende den Produkterfahrungsprozess durchlaufen, sowie ihre Einstellungen und die Probleme, mit denen sie konfrontiert sind.

6. Eigene Marktforschung durchführen

Bei der Marktforschung ist es empfehlenswert, sich vor allem auf Branchentrends und konkurrierende Produkte zu konzentrieren. Diese geben Aufschluss über künftige Entwicklungen aus technischer und produktbezogener Sicht. Es ist auch hilfreich, sich über Branchenartikel, Newsletter, Podcasts oder andere Online-Inhalte auf dem Laufenden zu halten. Eigene Marktforschung bedeutet eine Investition in sich selbst und in das eigene Wissen und hilft dabei, die Arbeit effektiver zu gestalten und effizienter mit Ihrem Produktteam zu kommunizieren.

7. Mit Produktanalytik arbeiten

Softwareentwickler*innen brauchen Daten, um Entscheidungen zu treffen, genauso wie Produktmanager*innen. Sie können externe oder interne Produktanalysetools verwenden, um technische oder Produktfragen zu beantworten. Datenwissenschaftler*innen und Produktmanager*innen können den Prozess unterstützen, aber Softwareentwickler*innen, die selbst neugierig sind und sich selbst einbringen, sind ein Beispiel für die produktorientierte Denkweise. Es ist äußerst hilfreich, in den verfügbaren Daten Antworten auf technische Fragen finden zu können. Gleichzeitig sollte man nicht vergessen, die Produktanalysen mit Tests zu untermauern, um die Schlussfolgerungen zu bestätigen.

Die Balance mit alltäglichen Aufgaben finden

Eine produktorientierte Denkweise als zentraler Ansatz kann die Zusammenarbeit zwischen Entwickler*innen und funktionsübergreifenden Partner*innen wie den Produktmanager*innen verbessern. Eine kontinuierliche Verfeinerung dieser Denkweise kann die Türen für eine erfolgreiche Karriere als Entwickler*in öffnen und langfristig den Erfolg sichern. Es ist jedoch wichtig, eine Balance zwischen dem Fokus auf das Produkt und den täglichen Engineering-Aufgaben zu finden, was ein hohes Maß an Bewusstsein und Anstrengung erfordert.

Igor Velykokhatko
Igor Velykokhatko ist Produktmanager bei Grammarly, dem Unternehmen, dass den gleichnamigen KI-basierten Schreibassistenten entwickelt. Mit über 10 Jahren Erfahrung im Tech-Bereich und einem ausgeprägten Sinn für Nutzerbedürfnisse hat Igor in seiner Karriere einen bemerkenswerten Weg zurückgelegt. Zunächst als Software-Ingenieur tätig, wechselte er nach fünf Jahren in das Produktmanagement und ist heute verantwortlich für die Entwicklung und Verbesserung der Produkte von Grammarly auf der iOS-Plattform. Igor liebt es, einen direkten Einfluss auf das Produkt zu haben und seine Fähigkeiten einzusetzen, um nützliche und innovative Lösungen zu entwickeln, die das Leben der Menschen verbessern.