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Mit Buchhaltung verbindet man in der Regel Papier: Aktenordner, Rechnungen, Tabellen, Formulare und vieles mehr. Laut WWF verbraucht Deutschland so viel Papier wie die Kontinente Afrika und Südamerika zusammen. Doch wie kann Buchhaltung von der Zettelwirtschaft befreit und modernisiert werden, um vor allem Selbstständige zu entlasten? Hierzu haben wir kürzlich zwei Buchhaltungs-Tools vorgestellt. Nun nehmen wir die automatisierte Buchhaltung näher unter die Lupe und werfen einen Blick auf sevDesk, entwickelt vom jungen Offenburger Unternehmen SEVENIT. Ein Interview mit den Geschäftsführern Fabian Silberer und Marco Reinbold.

Laut einer Studie von 2014 druckt jeder Arbeitnehmer mehr als einen halben Baum jährlich. Ob sich das „Druckverhalten“ der Deutschen bis heute gravierend geändert hat, darf bezweifelt werden. Eure Meinung – Warum drucken die Deutschen eigentlich so gerne?

Die Macht der Gewohnheit liegt in der Natur des Menschen und wir Deutschen sind beim Thema Digitalisierung nicht gerade als Vorreiter bekannt. Das hat sicherlich mit dem Sicherheitsdenken und der  “Deutschen Ordentlichkeit” zu tun.  Ausdrucken, gründlich abheften und für die Ewigkeit archivieren. Die Deutschen hängen so am Medium Papier, weil sie das Gefühl haben, ihre Daten besser kontrollieren zu können. Digitalisierung ist eben kein Thema, das von einem auf den anderen Tag passiert. Die Technologie könnte das, aber der Mensch eben nicht.

Ihr wollt mit Eurer Cloud-Lösung aber nicht nur den Papierverbrauch in Büros verringern, sondern vor allem auch Buchhaltungsprozesse vereinfachen. Wie kann man sich das in der Praxis vorstellen?  

Für die meisten ist Buchhaltung ein leidiges Thema, mit dem sie sich nicht gerne beschäftigen. In der Buchhaltungs-Branche hat sich in den letzten Jahrzehnten nur wenig getan. Es gibt viele eingefahrene Prozesse und noch mehr Redundanzen.

Die Buchhaltung eines Selbstständigen oder eines kleinen Unternehmens lief bisher ungefähr so ab: Der Unternehmer druckt digitale Eingangsrechnungen aus, sammelt sie in einem Schuhkarton und bringt sie alle paar Wochen zum Steuerbüro. Dort werden die Belege wieder von Hand ins System eingetippt. Zwei Wochen später bekommt er eine Liste mit fehlenden Belegen und eine Reihe von Rückfragen vom Buchhalter zurück und das Spiel beginnt von vorne.

Durch den Medienbruch (digital – analog – digital) und das asynchrone Bearbeiten der Buchhaltung zwischen Mandant und Buchhalter entstehen Fehlerquellen und Aufgaben müssen häufig doppelt erledigt werden. Hier setzen wir an. Mit unserer Buchhaltungssoftware automatisieren wir zeitintensive Prozesse, damit Unternehmer wieder mehr Zeit für ihr Kerngeschäft haben.

So sieht Buchhaltung heute aus: Ein Unternehmer erhält eine Papierrechnung und fotografiert sie mit einer Smartphone App oder leitet eine digitale Rechnung via Email an sevDesk weiter. Dort werden sie automatisch ausgelesen und mit Hilfe selbstlernender Systeme direkt auf das passende Buchungskonto verbucht.

Die automatische Buchhaltung hat viele Vorteile: Auswertungen stehen in Echtzeit zur Verfügung, Daten sind auch unterwegs verfügbar, lästige Tipparbeit entfällt komplett. Auch die Zusammenarbeit mit dem Steuerberater wird einfach. Entweder lädt man den Steuerberater zur Zusammenarbeit direkt in sevDesk ein oder man schickt ihm einen aufbereiteten DATEV-Export per Email. Pendelordner oder Schuhkartons mit Belegen braucht man nicht mehr.

Buchhaltung 4.0 durch künstliche Intelligenz
Bild: SEVENIT GmbH

Ihr fokussiert Euch auf Selbstständige – warum? Könnten nicht auch größere Unternehmen von Eurem Tool profitieren?

Das ist richtig. Gerade Selbstständige und kleine Unternehmen haben mit der laufenden Buchhaltung zu kämpfen. Während sich in größeren Unternehmen Mitarbeiter um die Buchhaltung kümmern, müssen Selbstständige alles selbst machen. Diesen Unternehmern wollen wir helfen und ihnen etwas Zeit in ihrem Alltag freischaufeln.

Hattet Ihr in der Anfangszeit nicht auch mit zahlreichen Stolpersteinen, beispielsweise rechtliche Hürden, zu kämpfen?

Selbstverständlich. Gerade zu Beginn weiß man oft nicht, wo man anfangen soll. Es gibt so viele Möglichkeiten, die finanziellen Mittel sind knapp.

Wir haben in der Anfangszeit den Fehler gemacht, dass wir keinen klaren Fokus gesetzt hatten. Neben unserem Hauptprodukt sevDesk haben wir auch externe Aufträge angenommen. Der finanzielle Anreiz war gerade in der frühen Phase zu verlockend. Das hat dann aber dazu geführt, dass wir nicht so schnell vorangekommen sind, wie wir es gerne gehabt hätten. Glücklicherweise haben wir das relativ schnell erkannt und abgestellt.

Mein Tipp für alle Gründer und Jungunternehmer: Setzt euch einen klaren Fokus.

Und wie ist das mit der Sicherheit in Eurem Cloudsystem? Und: Es kann ja auch das Smartphone, mit dem ich meine Rechnung abfotografiert habe, gehackt werden.

Unsere Kunden vertrauen uns sensible Unternehmensdaten an. Deshalb nehmen wir das Thema Sicherheit sehr ernst. Das mit dem Smartphone ist ein schönes Beispiel. Selbst wenn ein Smartphone gehackt wird, kann sevDesk nicht infiziert werden, da es über standardisierte Schnittstellen mit unseren Server kommuniziert. Unsere Server lassen grundsätzlich nur das rein, was auch rein soll. Die App zum Scannen von Rechnungen ermöglicht beispielsweise nur einen Login und das Senden von PDF-Dateien an sevDesk.

Wir haben uns bewusst für den Serverstandort Deutschland entschieden, damit auch das Rechenzentrum dem strengen deutschen Datenschutz unterliegt. Ab und zu sagen potenzielle Kunden, dass sie ihre Daten lieber auf ihrem eigenen PC speichern wollen, anstatt in einem Rechenzentrum. In einem Rechenzentrum sind die Daten jedoch wesentlich sicherer als auf einem Home-PC.

Redundante Datenspeicherung und Stromversorgung, Zugangskontrollen, ISO-Zertifizierungen, 24/7-Überwachung der Systeme. Die Sicherheit, die wir mit einem Rechenzentrum bieten können, kann man zu Hause nur sehr schwer erreichen.

Kürzlich habt Ihr das Berliner Machine Learning Startup DISDAR übernommen. Inwiefern wird das Eure Technologie voranbringen?

Wir haben die Technologie von DISDAR schon längere Zeit als Dienstleistung genutzt, um Eingangsrechnungen automatisch erkennen und verbuchen zu können. Wir haben uns ursprünglich Gini und DISDAR angeschaut und uns dann für DISDAR aufgrund der deutlichen besseren Qualität entschieden.

Mit der Übernahme können wir die Entwicklung der künstlichen Intelligenz für Buchhaltung  noch schneller vorantreiben. Aktuell können wir knapp 70% aller Eingangsrechnungen bereits vollautomatisiert verbuchen. Ende 2017 sollen es mehr als 95% sein.

Seit Ende 2015 arbeiten wir an eigenen Machine Learning Algorithmen. Die Übernahme von DISDAR hat uns eine Menge Entwicklungsarbeit eingespart, da wir auf dem vorhandenen Know-how und den Codes aufsetzen konnten. In den nächsten Wochen werden die ersten Updates auf dieser Basis in sevDesk sichtbar sein.

Alles in allem: Wie fühlt sich das an, als junges Startup einen als verstaubt geltenden Markt aufzumischen?

Jeder Gründer ist ein kleiner Rebell und das ist auch wichtig. Wir alle wollen etwas verändern und wir haben eben besonders viel Potenzial im Bereich Buchhaltung für Selbstständige gesehen. Wenn mich während meines Studiums jemand gefragt hätte, was ich mal machen möchte, hätte ich bestimmt nicht auf Buchhaltungssoftware getippt. Heute bin ich stolz darauf, mit was für tollen Menschen ich zusammenarbeiten darf und was wir gemeinsam bewegen.

Letztendlich ist es toll, dass wir etwas so traditionelles wie die Buchführung verbessern können, um vielen Menschen den Alltag zu erleichtern. Natürlich bedeutet das auch, dass es den Beruf Buchhalter in dieser Form wahrscheinlich nicht mehr geben wird, aber das ist meiner Meinung nach ok. Wer tippt denn schon gerne Belege ab?

Unternehmerische und berufliche Freiheit ist etwas Großartiges und jeder Selbstständige soll auch die Gelegenheit haben, diese auszuleben, ohne dass er durch so etwas nerviges wie Buchhaltung gebremst wird.

Ergänzung der Redaktion:
Das Deep-Learning-Startup DISDAR wurde unter SMACC und SEVENIT aufgeteilt.