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Innovationen enthalten auch eine Prise Unvernunft. Und bevor wir vor einem gelassenerem Umgang mit dem Scheitern reden, sollten wir hierzulande mehr Raum schaffen für  kreative Dummheiten.

Der Satz, der mich bei meinem gerade zu Ende gegangenen Trip nach Las Vegas am meisten beeindruckt hat, stand an keinem Messestand. Er hing im Fenster des „Heart Attack Grill“ („Herzinfarktgrill“) im alten Stadtzentrums von Las Vegas. „Die Gründerväter (der USA) haben dafür gekämpft und Opfer gebracht, damit ich so dumm sein darf wie ich will,“ war dort in der Vitrine zu lesen.

„The right to be stupid“. Was für eine Provokation! Wenn wenigstens das Wörtchen „verrückt“ dagestanden hätte. Da denkt man  noch ein bisschen an den schlecht frisierten Albert Einstein. Aber dumm sein dürfen?

Dumm oder kreativ?

Ich will hier jetzt kein Urteil darüber abgeben, welchen gesellschaftlichen Mehrwert das Mampfen von mehrstöckigen Cholesterin-Killer-Burgern nun erzeugt. Und natürlich gibt es, wie ein ebenfalls amerikanisches Bonmot besagt, viele Menschen, die das genannte Recht überstrapazieren. Mir geht es vielmehr um das in dem Satz steckende, radikale Freiheitsdenken, das Bewusstsein, dass kein Besserwisser sagen soll, was nun für einen einzelnen gut und vernünftig ist und was nicht. Es gibt keine Zensur, kein Ausweichen vor Risiken.

The right to be stupid – irgendwie gefällt mir das besser als der in Deutschland allmählich salonfähig werdende Begriff „Kultur des Scheiterns“. Das klingt schon wieder negativ, nicht so fröhlich-frech wie ich mir das wünschen würde. Abgesehen davon, dass man das Scheitern nie verklären sollte, weil es immer ein schmerzlicher Prozess ist.

Doch bevor ich überhaupt Scheitern kann, muss ich  erst einmal eine vermeintlich verrückte, ja in den Augen der Umgebung vielleicht sogar dumme Idee gehabt haben. Und daran krankt es in Deutschland, wenn es einmal um gewagtere Innovationen geht, vielleicht noch mehr als an der Toleranz gegenüber Verlierern. Radikale Kreativität braucht ein wenig Anarchie und manchmal fast kindlichen Trotz.  Es ist kein Zufall, dass unter erfolgreichen digitalen Innovatoren wenig Krawattenträger zu finden sind. Räume voller austauschbarer männlicher Krawattenträger, in gedeckten grauen bis schwarzen Anzügen  kommen mir in den Sinn, wenn es um Momente meines Lebens geht, wo Innovationen auf der Strecke blieben. (Damit ist nichts gegen einen Businessauftritt mit Stil gesagt! Auch der hat seinen Platz. Aber vielleicht nicht gleich bei der Ideenfindung…)

Deutschland ist und bleibt das Land der Bedenkenträger

Deutschland ist bunter geworden. Aber es ist immer noch das Land des Konformismus – und das gilt leider auch vielerorts für die Unternehmenskultur.  Hierzulande gibt es immer viele kluge Menschen, die einem nach intensivem und hochrationalem Nachdenken folgerichtig erklären können, warum etwas ganz bestimmt nicht funktionieren kann. Der Bedenkenträger  ist ein deutscher Phänotyp.   Verrücktheit gilt  als Charakterschwäche: Wir sind doch hierzulande alle vernünftig – vernünftiger jedenfalls als diese spinnerten Amis, über deren Dummheiten sich so trefflich die Nase rümpfen lässt…  Es ist doch dumm, wenn man glaubt, die Dinge auch mal ganz anders anpacken zu wollen, wo sich das Bestehende doch so hervorragend bewährt hat. Oder? Ich glaube viele Startups können von der Begegnung mit solchen hyper-vernünftigen Menschen ein Lied singen,  die leider manchmal über ihr Wohl und Wehe entscheiden.

Aber die Problematik beginnt viel früher, insbesondere an der Schule. Internationale Statistiken belegen, dass das deutsche Schulsystem ganz gut ist, einen breiten Konvoi von durchschnittlichen Schülern fürs Leben zu qualifizieren. Und diese Qualifikation in der Breite ist zweifellos eine Stärke unseres Wirtschaftsstandortes. Aber wenn ich das Wort „Klassengemeinschaft“ höre oder in einer Broschüre des baden-württembergischen Kultusministeriums zu weiterführenden Schulen fast nichts über  die Förderung besonders begabter Schüler  lese, dann frage ich mich: Sind eigentlich auch schräge Vögel willkommen? Diejenigen mit den vermeintlich dummen Ideen?

Wir tolerieren vielleicht inzwischen das Anderssein, aber wir zelebrieren es hier zu Lande nicht. Wo hört der vermeintliche Spinner denn:  Ja, du darfst anders sein. Es ist toll, dass du verquere  Ideen hast!  Verrückt sein, anders sein, the right to be stupid – das gilt in den USA viel selbstverständlicher als in Deutschland  als  Auszeichnung.  Bill Gates, Steve Jobs oder Mark Zuckerberg waren oder sind seltsame und verquere Typen. Auch Jeff Bezos (Amazon) , Elon Musk (Paypal), Travis Kalanick (Uber) oder Peter Thiel (Risikokapital-Investor) sind manchmal  Spinner mit dummen Ideen.  Wären sie in  Deutschland so weit gekommen?  Ich habe meine Zweifel.

Vielleicht sollten wir  damit anfangen, dass wir nicht immer gleich die Klügsten sein wollen, die anderen die Welt erklären wie sie wirklich ist. Es muss nicht immer alles geordnet, gesittet und vernünftig zugehen. Ideen und Innovationen entstehen auch aus der Unordnung, der Provokation und der Unvernunft. Sie herauszudestillieren, sie zur Vernunft zur veredeln – das schafft echte Innovation.

Der Artikel erschien zuerst auf Geldner Neuland-Blog.