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Als Digitaler Nomade unterwegs sein und von dort arbeiten, wo es einem am besten gefällt – ein Privileg, das nur den Selbstständigen vorbehalten ist?

Nicht ganz. Auf meiner Reise traf ich auf einen Deutschen, der angestellt arbeitet und gleichzeitig um die Welt reist. Das Besondere daran? Seine Kollegen wissen es gar nicht, sie denken, er sei im Home Office. Warum das nicht öffentlich sei, fragte ich. Seine Antwort: Die Firma befürchtet, dass sonst alle Kollegen dies so haben wollen. Das finde ich interessant! Denn auf anderen Kontinenten haben Firmen bereits umgedacht und sogar gewisse Vorzüge daran entdeckt, ihren Mitarbeitern die Freiheit zu lassen, den Arbeitsplatz selbst zu wählen.

Ortsunabhängiges Arbeiten als Kriterium des Employer Branding

Das Arbeiten von Zuhause, und z. B. einen Tag Home Office in der Woche zu haben, ist bei den wenigsten deutschen Arbeitgebern ein Problem. Gerade in der IT-Branche höre ich öfter vom freitäglichen Home Office. Dass es aber auch gänzlich ohne Büro zu funktionieren scheint, zeigen diese drei Firmen aus den USA

Buffer

Buffer ist ein Unternehmen mit über 40 Mitarbeitern, die insgesamt über 7 verschiedene Zeitzonen verteilt sind. Für Buffer waren die hohen Mietpreise der Anstoß, das Büro in San Francisco aufzulösen. Gerade weil zum gleichen Zeitpunkt meist nur eine Handvoll Mitarbeiter darin arbeitete. Die Mehrheit der Mitarbeiter hatte auch vorher schon das Büro gemieden und vom eigenen Home Office oder verschiedensten Co-Working-Spaces auf der Welt gearbeitet. Laut eigenen Angaben finanziert Buffer die Mieten in den gewünschten Co-Working-Spaces sogar.

Tim Ferriss, der als Autor der „Nomaden-Bibel“ die „Die 4-Stunden-Woche“ bekannt wurde, wagt die These, dass die schlauesten Menschen ortsunabhängig arbeiten würden.

Automattic

Automattic ist das Unternehmen, das WordPress entwickelt hat und ist über 400 Mitarbeiter stark. Alle Teammitglieder kommen aus über 40 verschiedenen Ländern, die weder ein Büro teilen, noch E-Mails zur Kommunikation nutzen. Matt Mullenweg, CEO von Automattic, möchte seine Mitarbeiter nicht in irgendein Büro im Silicon Valley oder eine andere Techie-Hochburg zwingen. Er ist der Überzeugung, dass ihm das ortsunabhängige Konzept ermöglicht, die besten Talente der Welt anzuziehen.

Basecamp

Der Projektmanagement-Tool-Anbieter Basecamp führte unter seinen über 30 Mitarbeitern eine Umfrage durch und befragte sie, unter welchen Umständen diese am produktivsten seien. Dabei kam heraus, dass dies für die Mitarbeiter entweder eine bestimmte Zeit (z. B. früh morgens oder spät abends), während dem Reisen von A nach B (im Zug, im Flugzeug) oder ein bestimmter Ort ist. Basecamp hat seine Zentrale zwar immer noch in Chicago, viele der Mitarbeiter arbeiten nun aber remote – und sind glücklich damit.

Vor- und Nachteile des ortsunabhängigen Angestellten

Versetze ich mich in die Arbeitnehmer-Perspektive, liegen für mich die Vorteile des „nomadischen“ Arbeitens klar auf der Hand: Das Pendeln zur Arbeit fällt weg, ich kann zu der Zeit arbeiten, wann ich am produktivsten bin, kann Familie und Berufsleben besser vereinen, kann dort Arbeiten, wo andere Urlaub machen und spontan verreisen, wenn es besonders gute Angebote gibt.

Als Arbeitgeber kann ich an Büromiete und Infrastrukturkosten sparen, habe aber mit anderen Herausforderungen zu kämpfen: Wie stelle ich sicher, dass die Kommunikation reibungslos läuft? Reicht ein „Watercooler Chat“ als Ersatz für den Flurfunk und den Plausch am Kaffeeautomaten? Kann ich meinen Arbeitnehmern vertrauen? Wie stelle ich die pünktliche Lieferung von Ergebnissen sicher? Wie werden neue Mitarbeiter eingearbeitet, ja überhaupt an Board geholt?

Wenn man sich physisch nicht mehr täglich im Büro gegenübersitzt, ist es umso wichtiger, dass regelmäßige Kommunikationsrituale eingehalten und bewusst Anlässe geschaffen werden, in denen die Mitarbeiter sich auch persönlich kennenlernen können.

Firmen wie Buffer veranstalten mehrmals jährlich sogenannte „Retreats“, in denen alle Mitarbeiter für jeweils eine Woche zusammenkommen und die nächsten Projekte planen, die Teamkollegen kennenlernen können, aber auch zusammen miteinander verreisen, Sehenswürdigkeiten besichtigen und Touren unternehmen.

Die Buffer Gründer Leo Widrich und Joel Gascoigne erklären, warum Buffer dreimal pro Jahr Retreats veranstaltet.

Entwicklungen wie Cloud-Dienste, Online-Projektmanagement-Tools und Kommunikationsmöglichkeiten über die verschiedensten sozialen Netzwerke sowie die bessere Versorgung mit Internet sprechen theoretisch dafür, dass sich flexiblere Modelle Arbeitsmodelle durchsetzen können. Die Frage ist: Wollen das die Arbeitnehmer überhaupt? Und was denkt der Arbeitgeber darüber?

Ich bin daher froh, dass wir uns beim nächsten #digiTALK Karlsruhe am 19.04.2016 mit Barbara Przeklasa, die als Marketingprofi beim Ettlinger Unternehmen esentri arbeitet, über die Perspektive einer Angestellten unterhalten können, die ihre Arbeit derzeit von Thailand aus erledigt.

Wie wird das Arbeiten der Zukunft aussehen? Kann jeder unterwegs produktiv sein oder brauchen wir das Büro? Wem stehen diese Möglichkeiten offen?

Ich freue mich über persönliche Erfahrungen und Meinungen in den Kommentaren.

Até a próxima,
Ute Klingelhöfer

Quellen und weitere Links