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Crowdfunding, das sich ins Deutsche wohl noch am ehesten mit dem Begriff Schwarmfinanzierung übersetzen lässt, wird immer beliebter. Spätestens seit dem Erfolg der Pebble-Smartwatch auf Kickstarter, versuchen vor allem junge Unternehmen im Netz Geld für ihre Ideen zu sammeln – sollten dabei aber die Risiken nicht außer Acht lassen.

Erinnert sich noch jemand an Hemlis, den abhörsicheren Messenger? Wohl eher nicht. Ich hingegen erinnere mich sehr gut an das Projekt. Nach den Snowden-Enthüllungen kündigte im Juli 2013 ein schwedisches Programmierer-Team an, einen Messenger mit End-to-End-Verschlüsselung entwickeln zu wollen. Finanziert werden sollte alles über die Crowd. Der Zeitpunkt war clever gewählt, da man den Nerv der Zeit traf. Binnen 36 Stunden sammelten die Macher von Hemlis 100.000 US-Dollar ein. Damit war das gesteckte Ziel erreicht – und das Projekt tot.

Es war das erste Mal, dass ich in ein Crowdfunding-Projekt Geld investiert hatte, und das nicht nur weil ich die Idee super fand, sondern auch weil mir das Design und die Funktionen des Messengers zusagten. Aber ich wurde enttäuscht. Monatelang passierte gar nichts, Fragen wurden nur sporadisch beantwortet und nach und nach kamen andere sichere Messenger auf den Markt. Knapp zwei Jahre später, im April 2015, wurde das Projekt dann noch vor dem Release der ersten Version eingestellt. Mein Geld war weg, aber ich war um eine Erfahrung reicher.

Mit dem Erfolg kommt die Verantwortung

Das Beispiel Hemlis zeigt, dass beim Crowdfunding oft schon eine clevere oder innovative Idee genügt, um binnen kürzester Zeit hohe Summen einzusammeln. Kapital, das Startups in der Regel über klassische Finanzierungswege nicht bekommen – und schon gar nicht innerhalb weniger Stunden oder Tage. Durch den schnellen Erfolg von Hemlis war zudem auch die mediale Aufmerksamkeit enorm, so dass weitere Unterstützer hinzukamen. Sozusagen ein Bilderbuch-Crowdfunding-Projekt.

Doch die Crowd hat hohe Erwartungen. Sie will betreut werden. Sie will Ergebnisse sehen. Ist das nicht der Fall, schlägt die Euphorie der Unterstützer ganz schnell in Wut um. Wut, die in den sozialen Netzwerken öffentlich zum Ausdruck kommt und nicht nur den Ruf des Startups sondern auch des Crowdfundings an sich nachhaltig schädigen kann.

Bei Hemlis hatten die Leute jeweils nur ein paar Euro investiert, weshalb der große mediale Aufschrei ausblieb. Anders sieht es bei dem Coolest Cooler aus. Innerhalb von 52 Tagen hatte Ryan Grepper für sein Projekt 13,2 Millionen US-Dollar von 62.000 Unterstützern eingesammelt. Das war 2014. Die Auslieferung sollte im Februar 2015 beginnen. Doch die hohe Nachfrage wurde schnell zum Problem, da Grepper die Herausforderungen, die die Massenproduktion mit sich bringt, unterschätzt hatte. Derzeit warten noch immer einige der ursprünglichen Supporter, die zum Teil mehr als 200 US-Dollar investiert hatten, auf ihre Kühlbox. Das ist für sich genommen schon ein Problem, dass man den Coolest Cooler aber zu einem höheren Preis bei Amazon kaufen kann und sofort geliefert bekommt, brachte die Crowd zum toben.

Copycats entdecken das Crowdfunding für sich

Hemlis war eine gute Idee, die am Ende aber von anderen (Threema, Telegram, etc.) umgesetzt wurde. Der Coolest Cooler war innovativ, krankt allerdings an den Problemen, die Startups bekommen, sobald die Nachfrage höher wird als der mögliche Output. Was aber passiert, wenn die Idee selbst geklaut ist?

Mit Kickstarter kann alles mögliche in die Tat umgesetzt werden: Kunst und Gadgets, Veranstaltungen und Räume, Ideen und Erlebnisse. Für jedes Projekt muss es allerdings einen Plan geben, damit alle anderen erfahren, was geschaffen werden soll. […]

Projekte müssen wahrheitsgetreu und anschaulich präsentiert werden. Unsere Community basiert auf Vertrauen und Kommunikation. Die Projekte dürfen nicht in die Irre führen, und alle Fakten müssen richtig dargestellt werden. Die Projektgründer müssen bei ihren Plänen zur Verwirklichung ehrlich sein. […]

Diese Regeln, die Kickstarter aufstellt, gelten wohl auch für die meisten anderen Crowdfunding-Plattformen. Das schließt allerdings nicht aus, dass fremde Ideen einfach übernommen und neu verpackt werden. So hat der niederländische Designer Oomen 2010 in der TV-Sendung „Die beste Idee der Niederlande“ einen Sitzsack vorgestellt, den man aufbläst, indem man ihn durch die Luft zieht. Inzwischen hat der junge Designer seine Idee an das US-Unternehmen Fatboy lizensiert, das den sogenannten Lamzac offiziell vertreibt.

Der Erfinder Marijn Oomen arbeitet seit 2010 an dem Luftkissen, das beweist auch eine niederländische Fernsehsendung, in der er seine Geschäftsidee pitcht. (Video: Het Beste Idee van Nederland)

Das hat das Amsterdamer Start-up Kaisr aber dennoch nicht daran gehindert, mit derselben Idee bei Indiegogo ins Rennen zu gehen. Das Resultat: Über 10.000 Vorbestellungen und mehr als vier Millionen US-Dollar Kapital. Ein voller Erfolg – nur dass vergangene Woche ein Gericht in den Haag den Verkauf von Kaisr EU-weit verboten hat. Die Webseite von Kaisr ist inzwischen offline. Was aus den vier Millionen wird, bleibt unklar. Die Crowd fühlt sich betrogen.

So bewirbt das Unternehmen Kaisr auf der Crowdfunding-Plattform das Sitzkissen. (GIF: indiegogo)

Crowdfunding steckt noch in den Kinderschuhen

Obwohl das Prinzip des Crowdfundings bereits seit über zehn Jahren (zum Teil recht erfolgreich) genutzt wird, gibt es noch viele Probleme: Eine Idee wird finanziert, aber von den Machern nicht realisiert (Hemlis); eine Idee wird finanziert und umgesetzt, scheitert aber an den Herausforderungen der Massenproduktion (Coolest Cooler); eine Idee wird finanziert und umgesetzt, stellt sich aber als Plagiat heraus (Kaisr). Die Folge davon: die Unterstützer fühlen sich betrogen – und ob jemand, der 200 Euro beim Crowdfunding verloren hat, erneut ein Projekt unterstützt, ist fraglich.

Crowdfunding ist eine gute Sache. Ohne die Finanzierung aus der Crowd heraus, würde es viele innovative Firmen und Produkte nicht geben. Nur leider sorgen – wie so oft – vor allem die wenigen spektakulär gescheiterten Fundings für Furore und schlechte Stimmung, während die vielen erfolgreichen Projekte unerwähnt bleiben.

Jeder kann etwas dazu beitragen, dem Crowdfunding zu mehr Ansehen zu verhelfen: Die Plattformen müssen die Projekte im Vorfeld sorgfältiger prüfen. Die Crowd sollte sich mehr mit den Produkten und Ideen beschäftigen, und nicht einfach irgendetwas unterstützen, nur weil das YouTube-Video oder die Bilder einen guten Eindruck machen. Und die Startups? Die sollten im Vorfeld alle Risiken bedenken und wenn mal etwas nicht klappt, einen alten aber einfachen Grundsatz beachten: Ehrlichkeit währt am längsten.