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Wie verlockend das klingt: Dem deutschen Winter entfliehen, mit Blick aufs Meer arbeiten, den Laptop locker auf den gebräunten Bauch gestellt, während man seine Mails checkt und eine frische Kokusnuss schlürft. Diese Zeilen schreibe ich tatsächlich aus einem Land, das eher für Urlaub als fürs Arbeiten bekannt ist: Brasilien. Samba und Sonne statt Schnee und Winterblues. Als Digitale Nomadin ist es mir möglich, zu arbeiten und gleichzeitig die Welt zu entdecken – der Digitalisierung sei dank!

Digitale Nomadin? Klingt nach modernem Hippie, oder?! Fast. Als Digitale Nomaden bezeichnen sich diejenigen Arbeitnehmer oder Selbstständigen, deren Arbeit vorwiegend digital ausgeführt wird und die daher eine hohe Flexibilität in der Ortswahl ermöglicht. Digitale Nomaden sind nicht an ein Büro gebunden und können, wenn sie wollen, tatsächlich das oben beschriebene Klischee wahrmachen.

Die Reisegruppe der Digitalen Nomaden auf dem Kreuzfahrtschiff
Digitale Nomaden reisen gerne, unter anderem per Kreuzfahrtschiff nach Brasilien (Bild: Dinko Verži)

Feuer gefangen – Eine Konferenz für Digitale Nomaden

Ende November letzten Jahres bin ich per Kreuzfahrtschiff mit 120 anderen Digitalen Nomaden von Las Palmas, Cran Canaria, nach Salvador, Brasilien aufgebrochen. 9 Tage Atlantik ohne Land zu sehen. Erfahren habe ich von dieser Abenteuerfahrt über Facebook – wo auch sonst? Im Mai 2015 besuchte ich nämlich zum ersten Mal die DNX – Deutsche Digitale Nomadenkonferenz – in Berlin. Hier trafen sich 400 Menschen, die entweder bereits den Lifestyle des Digitalen Nomadens leben oder gerade darauf hinarbeiten. Im Mai war 2015 war mir allerdings noch nicht klar, dass ich bereits ein halbes Jahr später selbst dazugehören würde.

Warum wird man Digitaler Nomade?

Langeweile im 9-to-5-Job, unbezahlte Überstunden, ein Choleriker als Chef oder einfach die Lust, sein eigenes Ding zu machen: Die meisten, die ich auf meiner Reise getroffen habe, sind zwischen 30 und 40 Jahre alt, haben ihre ersten Jahre Berufserfahrung gesammelt und stehen nun vor der Frage: Was ist der nächste Schritt? 40 Jahre so weitermachen, Familie gründen, Haus bauen, sesshaft werden und an der Karriere feilen oder noch mal was ganz Anderes machen? Einige auf dem Schiff haben sich bewusst eine Auszeit genommen, um an eigenen Ideen und Projekten zu feilen.

Womit verdienen Digitale Nomaden ihr Geld?

Man könnte sagen, es gibt drei “Gruppen” von Digitalen Nomaden: Die meisten entsprechen der Gruppe Freelancer: Selbstständig arbeiten sie als Vertriebler (für die eine gute VoIP-Verbindung besonders wichtig ist), Webdesigner, Videofilomer, Übersetzer, Grafiker, Webentwickler, Fotografen, oder Journalisten. Die zweite Gruppe entspricht den Unternehmern, die ihre eigenen Firmen und Teams über die ganze Welt verteilt aufgebaut haben: z. B. Hostingfirmen, Marketingagenturen, Softwareanbieter, Reiseveranstalter, Veranstaltungsagenturen, Autovermietungen oder Webshopbetreiber.

Die dritte und kleinste Gruppe lebt ausschließlich von “passivem Einkommen”, Einkommen, das ohne das eigene ständige Zutun automatisch generiert wird. Dies ist wohl das attraktivste Konzept für alle Digitalen Nomaden, aber auch das, was bisher nur wenigen vorbehalten blieb.

Neben all diesen Modellen sind viele der Digitalen Nomaden auch Blogger und verdienen ihr Geld über Sponsored Posts, den Verkauf eigener Informationsprodukte oder Affiliate Marketing mit ihren Blogs, in denen sie über ihre Reisen berichten. Alle Jobs sind so flexibel, dass ihre Inhaber die Geschäfte komplett digital, mit Laptop und Smartphone ausgestattet, abwickeln können. Ihre einzige Einschränkung sind die Zeitverschiebung ins Heimatland und die Geschwindigkeit der Internetverbindung – und eine gute Internetverbindung zu finden ist außerhalb unserer IT-Hauptstadt oftmals schon Herausforderung genug.

Warum wollte ich Digitale Nomadin sein?

Ich vermisste die Möglichkeit, eine Langzeitreise wie zu Studiumszeiten zu unternehmen. Seit Beginn meiner Selbstständigkeit vor 3 Jahren dauerte mein längster Urlaub 10 Tage. Mir fehlte die Zeit, mal wieder in eine andere Kultur einzutauchen sowie Land & Leute richtig kennenzulernen. Doch das war nicht der Hauptgrund: Am meisten reizte mich das Konzept des passiven Einkommens: Mein Wissen mehr Menschen zur gleichen Zeit zur Verfügung zu stellen – Unabhängig von meiner Anwesenheit.

Aus meinen Workshops, die vor Ort stattfinden, digitale Kurse zu machen und über einen Klick auf meiner Website zu verkaufen – wie cool muss das sein? Zur Zeit tausche ich als Freelancer eben Zeit gegen Geld und kann nur soviel verkaufen, wie mir Zeit zur Verfügung steht. Skalierbarkeit ist etwas anderes. Und gleichzeitig steigt und fällt die Qualität meiner Leistungen mit meiner persönlichen Verfassung (die vor allem dann gut ist, wenn ich genügend Zeit für mich selbst habe – Sport, Gesundheit, Weiterbildung etc.).

Kurzum: Ich wollte eine Auszeit nehmen, in der ich mehr Zeit habe, “am” statt “im” Business zu arbeiten. Neue Ideen zu entwickeln, einen ausführlichen Lagebericht zu machen und zu überlegen, wie ich meine Dienstleistungen und mein Wissen skalieren kann.

Digitale Nomaden nehmen den Laptop mit an den Strand
Alltag für Digitale Nomaden? Der Laptop kommt auch mal mit an den Strand (Bild: Michelle Kutzner)

Digitale Nomadin auf Zeit

Anders als andere Nomaden, die bereits ihren Wohnsitz in ein wärmeres Land verlegt oder komplett die Idee des festen Wohnsitzes aufgegeben haben, wollte ich meine Zelte keinesfalls komplett abbrechen. So setzte ich mir für mein Digitales Nomadentum ein befristetes Ziel: 3 Monate durch Brasilien reisen, an eigenen Projekten arbeiten und zu schauen, wie Reisen und Arbeiten zu vereinbaren sind. Welche Erfahrungen ich mache, wie ich mich organisiere, wie man sein Business auf so etwas vorbereitet und ob Brasilien sich für Digitale Nomaden eignet, darüber werde ich in den folgenden Beiträgen meiner Kolumne berichten und auch die Schattenseiten vom Arbeiten aus der Sonne dabei nicht verschweigen. ;-)

Tchau – Até a próxima,

Ute Klingelhöfer