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Befeuert durch seine momentane Allgegenwärtigkeit hat der Trend um Virtual Reality (VR) eine große Erwartungshaltung gegenüber Virtuellen Techniken erzeugt. Zwar setzen Vorreiter aus der Industrie schon seit Jahrzenten auf professionelle VR-Hardware und -Software, aber der Großteil der Unternehmen hat bisher nur wenige Berührungspunkte damit. Die Akzeptanz im Mittelstand könnte zur Nagelprobe für VR werden.

Wie jede andere technologische Innovation (um nicht den Begriff des Hypes bemühen zu müssen), wird sich VR auf lange Sicht daran messen lassen müssen, wie geeignet sie im Consumer-Bereich für Massenmärkte und wie nützlich sie im Business-Bereich für eine Vielzahl von Unternehmen sein kann. Auf Deutschland bezogen bedeutet dieser letzte Punkt noch mehr als für andere Märkte, dass VR beim Mittelstand ankommen muss.

Verglichen mit großen Unternehmen sind hier die Anforderungen an Kosten und Nutzen und damit an die Akzeptanz der Technik sehr unterschiedlich. Gleichzeitig ist die Zahl der Einsatzmöglichkeiten für Virtuelle Techniken in Unternehmen groß und die Anwendungsgebiete reichen beispielhaft von Prototyping und Design Reviews über verschiedenste Simulationen bis hin zur Verwendung im Rahmen von Marketing, Training oder Fortbildung.

Nutzen für den Mittelstand vor allem bei komplexen Projekten

Der Mittelstand – also kleine und mittlere Unternehmen sowie eigentümergeführte Familienunternehmen – bildet das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. KMUs stellen in Deutschland mehr als 99 Prozent der Unternehmen und beschäftigen mehr als 60 Prozent der Arbeitnehmer. Unternehmen aus der Masse des Mittelstands lassen sich unterscheiden entlang der Variablen „Produktkomplexität“ und „Stückzahl“.

Grafik des Verhältnisses von Produktkomplexität und Stückzahl.
Bei komplexen Projekten ist der Prototyp häufig das Endprodukt – je fehlerfreier man (dank VR) planen kann, umso besser. (Bild: VDC Fellbach)

Einzelfertiger im Mittelstand arbeiten an komplexen Projekten und erstellen Produkte in geringer Stückzahl. Das ist beispielsweise im Sondermaschinenbau oder im Anlagenbau der Fall. Weniger komplexe Produkte werden von mittelständischen Unternehmen in geringer oder auch in hoher Stückzahl gefertigt, wie etwa bei den Zulieferbetrieben.

In der Komplexität der hergestellten Produkte liegt dann auch das wichtigste Kriterium für den Einsatz von Virtuellen Techniken: Sie sind ein wertvolles Werkzeug überall dort, wo komplexe Aufgaben sich auf räumliche Geometrien beziehen, die rein algorithmisch nicht lösbar sind. Entsprechend liegt gemäß Bullinger der Nutzen Virtueller Techniken im Bereich der Entwicklung in

  • der Einsparung physischer Prototypen,
  • einer höheren Planungsqualität und Planungssicherheit,
  • einer Reduzierung der Feedbackschleifen,
  • einer Fehlerreduzierung und Fehlerfolgekostenreduzierung,
  • besserer Kommunikation und besserem Kundendialog.

Im Umkehrschluss sind etwa drohende hohe potenzielle Kosten im Falle von Fehlern, teure Prototypen oder hohe Änderungskosten wichtige Nutzenkriterien der Virtuellen Produktentwicklung. Ein Beispiel verdeutlicht das: Wenn ein Maschinenbauer eine Sonderanfertigung für einen Kunden herstellt, ist die Losgröße im Extremfall eins, wenn es sich bei der Maschine um ein Unikat handelt. Hier sind Prototyp und Endprodukt identisch.

Je mehr Fehler bereits vor der physischen Herstellung des Prototypen, also der Maschine ausgeräumt werden können und je weniger Änderungen im Nachhinein noch gemacht werden müssen, desto höher sind die Opportunitätserlöse – desto mehr Kosten können also potenziell eingespart werden.

Aufbau des mobilen VR-Systems „VR2fly“ von Imsys. Virtual Reality schnell und handlich ein- und ausgepackt. (Quelle: youtube)

Von der raumgroßen CAVE zum mobilen VR-System

Wo sich für einen Großkonzern eine VR-Anlage mit Kosten in sechsstelliger Höhe leicht rechnen kann, lohnt eine solche Anschaffung sich für kleinere Unternehmen in der Regel nicht. Mittlerweile bieten für solche Fälle Systemhäuser und externe Dienstleister die Infrastrukturen eines VR-Centers zur Miete an (sogenanntes „VR-Renting“). Außerdem gründen vermehrt Unternehmensnetzwerke eigene VR-Zentren zur gemeinsamen Nutzung.

Angetrieben durch die Spieleindustrie sind aber mittlerweile auch verschiedene niedrigpreisige VR-Hardware-Technologien wie Headsets und Trackingsysteme verfügbar, die für KMUs besonders interessant sein können.  Im Vergleich mit Großunternehmen haben KMUs aber auch gewichtige, strukturell bedingte Vorteile.

Dr. Christoph Runde, Leiter des Virtual Dimension Center (VDC) Fellbach, schätzt diese folgendermaßen ein: „Der Mittelstand kann im Vergleich zu Großunternehmen schneller und wendiger Abläufe ändern und neue Methoden einführen. Das trifft auch auf VR zu. Wichtig ist, bestehende Entscheidungspunkte in die virtuelle Welt zu verlagern und nicht etwa ausschließlich zusätzliche virtuelle Absicherungen umzusetzen.“

Virtual Reality in KMU: Das Potential ist vorhanden

Virtuelle Techniken machen das Wissen der Benutzer in computergenerierten Umgebungen nutzbar. Voraussetzung ist also, dass die Mitarbeiter die Technik bedienen können. Neben den finanziellen Aufwänden für die Hard- und Software sind daher außerdem die Kosten zu betrachten, die für eine entsprechende Personalschulung/-fortbildung und für Instandhaltung anfallen.

Eine Studie des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) aus dem vergangenen Jahr zeigte, dass mittelständische Unternehmen sich besonders für Erfahrungsaustausch, Schulungen und Seminare zum Thema VR interessieren. Ebenfalls wird hier deutlich, dass das Mieten von VR-Anlagen sowie das Anschaffen kleiner VR-Anlagen die interessantesten Optionen für diese Zielgruppe sind.

Werden hier die Kompatibilität mit gängigen CAD-Systemen und die Benutzerfreundlichkeit verbessert, so wäre eine rege Nutzung durch den Mittelstand vorgezeichnet. Die Potenziale für eine künftige erfolgreiche Nutzung sind jedenfalls vorhanden.