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Zur Eröffnung der diesjährigen re:publica gab Markus Beckedahl von netzpolitik.org einen Rück- und Ausblick auf netzpolitische Debatten und Fragestellungen: Vorratsdatenspeicherung, Snowden, Netzneutralität, Zensursula und ACTA – all das hat uns in den vergangenen zehn Jahren beschäftigt. Aber was kommt als nächstes?

Die re:publica ist in den vergangenen zehn Jahren erwachsen geworden. Während die erste rp:publica im Jahr 2007 in der Kalkscheune mit 700 Besuchern noch den Charakter eines digitalen Klassentreffens hatte, beläuft sich in diesem Jahr allein die Zahl der Speaker auf 850. Den Rekord von knapp 7000 Besuchern aus dem Jahr 2015 dürften die Veranstalter wohl ebenfalls knacken.

Neben den diversen Keynotes und Veranstaltungen erwarten die Besucher inzwischen Einblicke in die Welt der Virtual Reality, Unternehmen präsentieren ihre Innovationen an kleinen Ständen und sogar eine Sauna ist auf dem Konferenzgelände aufgebaut. Dennoch gibt es auch in diesem Jahr wieder ein zentrales Thema: die Netzpolitik.

Ein Blick in die Vergangenheit

Markus Beckedahl von netzpolitik.org, einer der Initiatoren der re:publica, eröffnete den Kongress mit einer düsteren Prognose: „Wir drohen, das offene Netz zu verlieren!“ Aber der Reihe nach. Ein Blick zurück zeigt, dass uns manche Debatten immer wieder begegnen.

2007: Die Vorratsdatenspeicherung war eines der Themen auf der ersten re:publica. Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Vorschriften später für ungültig erklärte, begegnet uns die VDR nun in Form eines neuen Gesetzes wieder.

2009: Netzsperren beschäftigten die Netzgemeinde. Kurze Zeit später folgte „Zensursula“ und es kam zu bundesweiten Protesten. Im Jahr 2010 wurde das Gesetz zwar zurückgenommen, aber das Thema Netzsperren wird jetzt über die EU gespielt und kommt in Form von Upload-Filtern und freiwilligen Kooperationen daher. Transparenz und Nachvollziehbarkeit fehlen weiterhin.

2012: 100.000 Menschen gingen auf die Straße um Handelsabkommen ACTA zu verhindern – dafür kommt nun TTIP und Teile von ACTA werden damit wieder eingeführt.

2013: Edward Snowden. Jeder wusste, dass wir überwacht werden, aber erst seit den Enthüllungen von Snowden kann man darüber sprechen, ohne als Verschwörungstheoretiker bezeichnet zu werden. Rein politisch hat das allerdings recht wenig gebracht. Stattdessen bekommt der BND Geld, um die Netzüberwachung auszubauen.

2012, 2013, 2014 und 2015: Es wurde viel über Netzneutralität diskutiert – und sie wurde am Ende auch von der EU beschlossen. Allerdings werden die Regeln nun immer weiter aufgeweicht.

Welche Debatten stehen uns noch bevor?

Beckedahl führte den Zuschauern in seiner Session eindrucksvoll vor Augen, wie viele unbeantwortete Fragen uns im digitalen Zeitalter noch erwarten. „Habt ihr euch schon mal die AGB eines E-Books durchgelesen? Ein normales Buch dürft ihr an eure Freunde verleihen, weiterverkaufen und vieles mehr. Bei einem E-Book schließt das die Lizenz aus,“ erläuterte der netzpolitische Aktivist. „Amazon hat sogar schon Bücher zurückgezogen und das Geld zurücküberwiesen. Das ist vergleichbar mit einem Buchhändler, der nachts bei euch einbricht, ein Buch klaut und euch einen Zehner auf den Tisch legt.“

Was für E-Books gilt, lässt sich übrigens auf so gut wie alle Bereiche übertragen: Wer sich heute bei Amazon oder einem anderen Anbieter einen Film oder Musik kauft, weiß nicht, was damit passiert, wenn es den Anbieter irgendwann nicht mehr gibt. Oder in den Worten von Beckedahl: „Wer erbt eure digitale Plattensammlung?“

Aber auch in anderen Bereichen gilt es noch viele offene Fragen zu klären. Vor 30 Jahren konnte noch jeder seinen Rasenmäher oder sein Auto selbst reparieren. Heutzutage läuft alles mit Software, die vom Urheberrecht geschützt ist und damit von uns nicht „aufgeschraubt“ werden kann. In vielen Fällen kann man die eigenen Geräte heutzutage selbst gar nicht mehr reparieren. Beckedahl forderte deshalb in seinem Vortrag auf der re:publica ein „Recht auf Tüfteln“.

Zum Teil befindet sich die digitale Avantgarde auch selbst in der Klemme. Einerseits klingt es verlockend, eine Kaffeemaschine mit App-Steuerung zu nutzen. Andererseits kann es passieren, dass wir die Kaffeemaschine irgendwann nicht mehr nutzen können, weil die App nicht mehr weiterentwickelt wird. Oder die Kaffeemaschine wird gehackt weil sie mit dem Internet verbunden ist.

„Brillen mit Gesichtserkennung! Sie sind an sich keine schlechte Entwicklung. In der einen Situation finde ich es vielleicht praktisch, damit neue Leute kennenzulernen. Aber wenn ich Abends ein Bier trinke, will ich vielleicht gar nicht erkannt werden,“ so Beckedahl. „Wie gehen wir damit um, dass wir die Technologien haben wollen, aber nicht wollen, dass sie gegen uns verwendet werden?“

Wie kann man die Probleme lösen?

Pauschal lässt sich diese Frage nicht beantworten, auch nicht von einem langjährigen Netzaktivisten wie Markus Beckedahl. Grundvoraussetzung ist eine interessierte Öffentlichkeit, die sich aktiv für das Vorankommen unserer digitalen Gesellschaft einsetzt. Das fängt damit an, dass man Dinge hinterfragt und die Entscheidungen der Politik nicht einfach so hinnimmt. Auf FragDenStaat kommt dabei jeder zu seinem Recht.

Zudem muss es mehr staatliche Fördermittel geben. „Es ist doch absurd, dass es für Menschen mit cleveren Ideen, die uns alle weiterbringen könnten, einfacher ist, von Google oder dem Open Technology Fund Geld zu bekommen, als vom Staat,“ kritisierte Beckedahl. „Es gibt zwar schon Ansätze, zum Beispiel den Freifunk zur Förderung von öffentlichem W-Lan. Aber es muss noch mehr passieren, damit die Menschen experimentieren können. Warum nicht ein Prozent der Haushaltsabgabe für die Förderung nutzen?“

Ob Beckedahls Forderungen – und auch die der anderen Redner auf der zehnten re:publica – Einfluss auf die Entwicklung in Deutschland haben werden, kann niemand sagen. Fest steht nur: das offene Netz geht uns alle an.