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Der Onlinehandel boomt, der Einkauf via Internet ist beliebter denn je. Dabei steigt allerdings auch gleichzeitig die Anzahl der kostspieligen Retouren. Dank des großen Aufkommens dieser Rücksendungen, buhlen nun kleinere Anbieter um die Übernahme dieser kritischen Mengen. Amazon, Zalando und Co. wittern ihre Chance, Aufwände abzugeben – oder?

Der Online-Handel schickt Unmengen an Paketen quer durch Deutschland. Das summiert sich pro Jahr auf mittlerweile fast drei Milliarden Pakete. Davon sind über 250 Millionen nur Retouren. Sie kosten eine Menge Geld. Die Hermes Fulfilment GmbH in Hamburg beispielsweise leistet sich dafür 1.100 Mitarbeiter, auf drei Stockwerke verteilt, um jährlich 50 Millionen Teile für den Wiederverkauf zu prüfen und herzurichten. Damit verdient das Unternehmen sogar Geld. Das Tochterunternehmen der Otto Group hat sich darauf spezialisiert, unzählige Services im Bereich der Intra- und Extralogistik anzubieten. Dass dabei auch andere Onlinehändler den Weg über Hermes suchen kommt nicht von ungefähr. So entstehen neben den kostspieligen Retouren auch enorme Aufwände in Logistik, IT und Personalverwaltung. Für kleinere Händler nicht zu stemmen. Laut brandeins erwirtschaftet das Unternehmen mittlerweile ein Viertel des Umsatzes mit Kunden außerhalb der Otto Group.

Pro und Contra: Retouren

Gegenüber dem Wirtschaftsmagazin brandeins (Quelle: brandeins Ausgabe Sale Sucks – Heft 03 März 2016) bringt es Marco Atzberger, Mitglied der Geschäftsleitung des Kölner EHI Retail Institute, auf den Punkt: „Bislang haben die hohen Wachstumsraten das Problem mit den Rückläufern weitgehend kaschiert. Doch damit ist es bei vielen Händlern wohl bald vorbei, gerade in den umsatzstärksten Segmenten wie Bekleidung und Heimelektronik. Wenn das Wachstum stockt, sind die heutigen Retouren-Quoten nicht mehr erträglich für ein nachhaltiges profitables Geschäft.“ Und die Folge dieser Entwicklung lässt sich bis dato noch nicht abschätzen. Auf Seiten der Händler spricht man in einigen Bereichen sogar von Totalverlusten in Millionenhöhe (beispielsweise im Möbelsegment). Auf der anderen Seite droht hinsichtlich der Auslagerung der jeweiligen Retouren-Abteilungen Lohndumping und der Aufbau von billigen Arbeitsplätzen. Und über die Haftung beim Waren-Rückversand haben wir nicht einmal angefangen zu diskutieren.

Auf der anderen Seite konterte schon 2014 Robert Gentz, Vorstandsmitglied bei Zalando: „Alles Unsinn, wer so denke, verstehe nichts von E-Commerce. Ein stationärer Händler zahlt Miete, hat Energiekosten und Personal in allen Läden; wir haben Retouren, das gehört zu unserem Geschäftsmodell.“ Schon damals war das Motto des Online-Fashionanbieters „Schrei vor Glück – oder schick es zurück“. Und Gentz hat zumindest auf Zalando bezogen Recht. So erwirtschaftete das in Berlin ansässige Unternehmen laut Statista im dritten Quartal fünf Millionen Euro Gewinn; das vierte Quartal soll nach eigenen Angaben sogar deutlich höher ausfallen. Auch weil in ähnlichen Abständen das Unternehmen zuvor 4,6 Millionen, dann knapp 61 Millionen Euro Gewinn erwirtschaftete – alles Inklusive der Retouren-Abwicklung.

Ignoranz und Fehleinschätzung: Der Kunde ist gefragt

Trotz positiver Zahlen sehe ich persönlich aber eine gravierende Ignoranz und Fehleinschätzung bei uns Kunden. Marco Atzberger sieht die Verantwortung daher auch bei der Bestellabwicklung auf Seiten des Onlineshops: „Für Kunden gibt es schlicht keinen Anreiz, Retouren zu vermeiden. Sie sind es gewohnt Rückgaben kostenlos zu tätigen – obwohl die Kosten neuerdings ja vom Händler dem Kunden aufgedrückt werden dürfen.“ Seiner Meinung nach müssen die Händler endlich anfangen, die Kosten auf den Kunden umzuwälzen und vor allem den Kauf auf Rechnung zu vermeiden. „Wer Geld nicht vorstrecken muss, ist schnell dazu verleitet, noch eine Hose mehr zur Anprobe zu bestellen. Manche bestellen sogar das gleiche Produkt bei unterschiedlichen Anbietern.“ Gleich dem Motto: Wer schnell liefert bekommt Geld, wer langsamer ist, bekommt die Retoure. Das Widerrufsrecht wird auf diese Weise vom Kunden leider ausgenutzt.

Wie kostspielig Retouren sein können, beschrieb ich bereits im Detail im Artikel „Kostenfalle Retoure – 19 Euro pro Rückabwicklung„. Dort brachte es der Kollege Grißmer auf den Punkt: „Ein Versandhaus mit einer Versandkapazität von bis zu 150.000 Artikeln am Tag beschäftigt etwa 100 Mitarbeiter nur für Rückabwicklungen. Bei einem Dreischichtbetrieb und einem Stundenlohn von etwa neun Euro, liegen die Personalkosten für Retouren bei bis zu 150.000 Euro pro Woche“, erklärt Matthias Grißmer, Projektleiter bei der Intralogistik-Softwareschmiede Dr. Thomas + Partner. Kosten für Maschinen und Verschleiß kommen noch obendrauf. „Am Ende können so gut und gerne eine Million Euro pro Monat zusätzliche Kosten anfallen.“

Und was nun? Nichts. Es bedarf meines Erachtens noch etwas Zeit und viel Gehirnschmalz, um das Thema Retouren in den Griff zu bekommen – speziell bei Themen wie billige Arbeitskräfte ist Sensibilität gefragt. Ich bin mir sicher, dass dahingehend eine verträgliche Lösung für alle entstehen wird. Und bis dahin werden Anbieter wie Hermes und Arvato sich neben Auslieferungen auch an Retouren erfreuen.