Lesedauer ca. 4 Minuten

Es ist eine Entwicklung, die sich seit Jahren angekündigt hat. Der stationäre Fachhändler führt eine individuelle Beratungsgebühr ein und will so den Hype rund um das Shoppen im Internet zumindest ein wenig eindämmen oder besser: fairer gestalten. Was in bestimmten kaufmännischen Bereichen nur logisch ist, wird hoffentlich nicht auf den gesamten Einzelhandel projiziert. Oder?

Für Serviceleistungen zahlen? Wo gibt es denn sowas? In Pfullingen! Dort wird jeder Kunde einer Brautkleid-Boutique zur Kasse gebeten, ohne dass dieser etwas kaufen muss – wie ich persönlich finde, zurecht. „Unsere intensive und zeitaufwendige Beratung wurde in den letzten Jahren oft dazu genutzt, um bei ebay oder ähnlichen Onlineangeboten in der Folge einzukaufen. Daher schränken wir die Grundberatung bei Brautkleidern auf eine Stunde ein. Für jede weitere Stunde berechnen wir 25 Euro. Der Zeitablauf beginnt bei der Erstberatung (auch telefonisch).“ Sieht man von der nicht wirklich kundenfreundlichen Formulierung einmal ab, ein absolut nachvollziehbarer Akt. Immerhin wird der Beratungsaufwand beim Kauf eines Brautkleides wieder abgezogen. „Wenn wir eine ernsthafte Beratung machen, kann es nicht sein, dass wir zwar ausgefragt werden, aber es nachher heißt: Danke für die gute Beratung, aber wir kaufen das Kleid im Internet“, so Modedesignerin Gunda Schneiderbauer. Wir kennen es: Beratung beim Fachhändler, kaufen im Netz – das Video ist voll mit diesen Vorurteilen. Dabei belegen Studien und Abschlusszahlen, dass der Trend genau in die andere Richtung geht. Informieren im Netz, kaufen beim stationären Fachhandel.

i-Tüpfelchen des lokalen Handels

Erst kürzlich durfte ich selbst erfahren, was eine gute Beratung ausmacht. Für die aktuelle Snowboard-Saison war ich auf der Suche nach einem neuen Board. Als ich den X-Tasy Sports in Karlsruhe betrat und nach einer Beratung fragte, schmetterte mir der wahrlich fachkundige Eigentümer folgendes entgegen: „Ich berate Dich gerne, doch habe ich keine Lust, dass Du mein Fachwissen dafür nutzt, um das entsprechende Snowboard im Internet zu kaufen – wahrscheinlich auch noch günstiger.“ Ich staunte nicht schlecht, fühlte mich aber magisch angezogen und war neugierig, wie es nun weiterginge. Der gute Mann unterwies mich in die wahrlich vielschichtige Kunst des Snowboardings und zeigte massenhaft speziell auf mich bezogene Materialen. Ich bin noch immer schwer begeistert. Am Ende kaufte ich ein Board, eine neue Bindung für das alte Board und bin fortan eine kostenlose Werbesäule für den werten Herrn. Wenn er für diese Art Beratung Geld verlangen würde, wäre dieser Kostenbeitrag, sagen wir mal 20 Euro, absolut gerechtfertigt.

Beide Welten werden zu einer Einheit, zu einem riesigen Point of Sale. Dass ich dabei sogar das jeweilige Produkt in die Hand nehmen kann, es vor dem Kauf ausprobieren darf, ist sozusagen das i-Tüpfelchen des lokalen Handels.

Mein Kollege Andreas Plöger hatte erst kürzlich den Kommentar „Deutsche Innenstädte – leben und sterben lassen“ geschrieben. Auch er ist der Meinung, dass es kein Wunder ist, dass die Kunden sich vom stationären Handel abwenden und ausschließlich im Internet bestellen. Seiner Meinung nach liegt es allerdings auch an der fehlenden Beratungskompetenz (siehe Gegenbeispiel oben) der Mitarbeiter, weniger an den günstigeren Preisen im Netz. Meine persönliche Einschätzung dazu habe ich im Artikel Lang lebe der stationäre Handel zum Besten gegeben.

Stationäre Einzelhandel Profitiert vom Online-Informationsangebot

Ich treffe sie immer wieder, die Fachberater im Einzelhandel, die mich beratend überraschen. Und aktuelle Untersuchungen lassen intensive Wechselwirkungen zwischen den Vertriebskanälen des Handels erkennen. So begibt sich der Konsument immer öfter in einem Vertriebskanal auf Informationssuche, um dann in einem anderen Kanal zu kaufen. Entgegen der landläufigen Meinung findet dabei die Informations- und Beratungssuche nicht ausschließlich im stationären Geschäft statt, um dann preisoptimiert online zu kaufen, sondern es wurde herausgefunden, dass es ein ausgeprägtes Cross-Channel-Verhalten der Kunden gibt. Dabei profitiert auch der stationäre Einzelhandel vom Online-Informationsangebot. Kein Wunder also, dass sich 41 Prozent der Konsumenten erst online über Produkte informieren, die sie dann nachweislich im lokalen Geschäft kaufen. Zudem suchen drei von vier Deutschen, immerhin 76 Prozent, regelmäßig online nach Informationen zu Geschäften und Dienstleistern in der eigenen Stadt.

Die Innenstadt lebt, es lebe die Beratung

Auf den Punkt gebracht: Die Innenstadt lebt, aber ich kann natürlich die Modedesignerin Gunda Schneiderbauer verstehen, wenn sie sich ihre Beratung bezahlen lässt. In einigen Segmenten hat dieses Honorar auch weiterhin Sinn. Speziell in hochpreisigen Segmenten gehört eine Beratung einfach dazu. Im HiFi-Bereich beispielsweise gibt „Mann“ gerne mal 10.000 Euro alleine für die Lautsprecher aus. Bei Sportausrüstungen müssen Fachverkäufer fehlerhafte Fußstellungen des Kunden erkennen und beim Brautkleid, ja da ist das gute Auge der Designerin gefragt. Meist sind noch individuelle Änderungen von Nöten. Und schließlich ist die Hochzeit einer der wichtigsten Tage im Leben und welcher Sparfuchs will schon ausschauen, wie ein billiger nasser Sack? Produkte im Internet sind meist um einige Hundert Euro günstiger, klar. Aber nur dank der guten Beratung ist man sich als Kunde am Ende auch sicher, das Richtige gekauft zu haben.