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Neben der Zentralisierung ist es vor allem die Digitalisierung, die den Einzelhandel dynamisch verändert. Immer mehr Konsumenten kaufen online ein – in fast allen Sortimentsbereichen. Allerdings behält auch der stationäre Handel seine Bedeutung, weil er dem Konsumenten ein emotionales Einkaufserlebnis verspricht. Eine Verschmelzung aller Kanäle ist greifbar.

Der Einzelhandel ist nicht automatisch den negativen Effekten der Digitalisierung ausgesetzt, sondern kann die Chancen aktiv gestalten. Ein negativer Effekt kann aber die finanzielle und organisatorische Leistungsfähigkeit vieler kleiner Fachhändler sein, die schnell an ihre Grenzen stoßen. Dies gilt vor allem für ländliche Regionen, die trotz einer gut ausgebauten Logistik sowohl dem Wettbewerbsdruck des Online-Handels als auch dem der Großstädte ausgesetzt sind. Aktuelle Zahlen bietet meines Erachtens der Mecklenburg-Vorpommern Report 2016. Die Region kann ohne Probleme auf ganz Deutschland projiziert werden; auch weil die Problematik, die oben beschrieben steht, die gesamte deutsche ländliche Region betrifft. Und ich stelle grundsätzlich fest: Der stationäre Handel ist nicht tot.

Omni-Channel: die jüngere Generation ansprechen

Und bevor wieder irgendwelche Experten behaupten, dass der Online-Handel samt seiner Digitalisierung den stationären Handel abhängen würde: das stimmt einfach nicht. Denn eine deutliche Mehrheit der Kunden in Deutschland bevorzugt weiterhin das stationäre Ladengeschäft für den Kauf der wichtigsten Produktgruppen wie Lebensmittel, Drogerieartikel, Möbel, Kleidung, Unterhaltungselektronik und Bücher. Zu diesem Ergebnis kommt zumindest eine aktuelle forsa-Umfrage, die vom ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss e.V. in Auftrag gegeben wurde. Der aktuelle Trend ist dabei der sogenannte Omni-Channel, wodurch der Kunde kanalübergreifend angesprochen wird und einkaufen kann. In Shopping-Centern beispielsweise werden Konsumenten über mehrere Kanäle angesprochen, etwa über das Smartphone und den lokalen Handel. Für den stationären Einzelhandel wird es nun darum gehen, sich vom reinen Distributions- zum Kommunikationskanal, also zum Omni-Channel-Retailer zu entwickeln – auch, um die jüngere Generation durch die passenden Kanäle anzusprechen. Ich kenne bereits einige, die sich Nahrungsmittel sogar online bestellen – nur ein Trend?

Für den stationären Einzelhandel bietet die Digitalisierung enorme Chancen.

PwC-Partner Gerd Bovensiepen

„Lokale Geschäfte, die sich nur als Ort der Bedarfsdeckung verstehen, werden es auf Dauer schwer haben, sich gegen den Online-Handel zu behaupten. Schließlich halten Onlinehändler ein riesiges Sortiment rund um die Uhr bereit, Lieferung inklusive. Doch die Digitalisierung bietet auch für den stationären Handel enorme Chancen. Geschäfte können sich zu vernetzten Erlebniswelten mit Mehrwert entwickeln“, sagt PwC-Partner Gerd Bovensiepen, Leiter des Bereichs Handel und Konsumgüter in Deutschland und Europa. „Es geht in erster Linie darum, die alten Stärken des Handels, guter Service und kompetente Beratung, mit digitaler Unterstützung weiter auszubauen. Mit Kunden- und Produktdaten auf seinem Smartphone oder Tablet-Computer kann der Verkäufer seine Kunden noch kompetenter und individueller betreuen. Er kann Artikel präsentieren, die bei ihm aktuell nicht vorrätig sind. Mit einem Blick auf die Einkaufshistorie des Kunden kann er schnell einschätzen, welche Vorlieben der Einzelne hat, welchen Stil er bevorzugt. So kann ein Verkäufer Interessenten zielsicher durch die Vielfalt der Angebote lotsen.“ Ob zum guten Service vielleicht auch ein Beratungshonorar gehört, bleibt abzuwarten.

Einzelhandel und das mobile Targeting

Das „Wann“ und vor allem das „Wo“ spielen bei den neuen Vertriebskanälen wie Omni-Channel oder No-Line-Commerce keine Rolle mehr. Die technischen beziehungsweise mobilen Möglichkeiten, die sich dank Internet, Smartphone und Tablet ergeben, sorgen dafür, dass Unternehmen in der Lage sind, ihr gesamtes Sortiment kanalübergreifend anzubieten. In der Regel nimmt der Kunde die unterschiedlichen Kanäle nur noch im Unterbewusstsein wahr, auch weil es keinen Kanalzwang bei der Kaufabwicklung gibt. So kann der Kunde online bestellen und die Ware im Ladengeschäft abholen (in-store pick-up) – oder andersherum.

Alles richtig machen? Ein lokaler Händler bietet neben seinem Onlineshop natürlich auch gleichzeitig eine passende App an, über die sich ein Kunde in das Ökosystem des Händlers einloggen kann. Registrierte Kunden werden in der Folge über die mobile App lokalisiert und erhalten beispielsweise personalisierte Werbung und Angebote. Das funktioniert natürlich auch über den Webshop, E-Mail oder SMS. Der Anbieter versucht in der Regel, den Kunden vorab über begrenzte Rabattaktionen (Gutscheincode) und andere kundenspezifische Vergünstigungen zu informieren. Mit solchen zugeschnittenen Aktionen lassen sich häufig Kaufhandlungen des Kunden direkt auslösen.

Das sogenannte mobile Targeting kennen wir bereits bei der Google-Suche oder auch beim Online-Versandhaus Amazon. Sind Nutzer bei diesen Diensten angemeldet, erhalten sie auf Basis ihres zuletzt gespeicherten Suchergebnisses oder Einkaufs individuelle, genau auf sie zugeschnittene Ergebnisse; nicht registrierte Nutzer bekommen dagegen personenbezogen ungenauere Ergebnisse angezeigt. Durch die enge Verzahnung mit Marketingstrategien sehen einige Experten im Omni-Channel keine Vertriebsstrategie, sondern eher eine Reaktion auf das Konsumverhalten. Der Grund: Eine zentralisierte Kundendatenbank zeichnet das gesamte Kaufverhalten inklusive der Produktauswahl und die genutzten Kanäle personalisiert auf. Nach Auswertung der gesammelten Daten können zielorientiert neue Werbeaktionen geplant werden.

Zusammengefasst: Technisch betrachtet sind kaum Unterschiede zwischen Multi-, Cross- und Omni-Channel auszumachen. No-Line-Commerce wird dafür sorgen, dass der Kunde jederzeit auf das gesamte Angebot zugreifen kann, egal für welchen Vertriebsweg er sich entscheidet. Zudem sind die Marketing-Aktionen ebenfalls kanalübergreifend ausgelegt und können zusätzlich über smarte Applikationen (Smartphone, Tablet) für mehr Reichweite sorgen. Und es wird noch digitaler: So werden Zusatz-Funktionen das Einkaufserlebnis weiter steigern, auch um Kunden noch mehr Appetit auf mehr zu machen. Als Beispiel sei der Augmented Reality Mirror genannt. Das ist ein Spiegel, der einer Kundin in der Umkleidekabine anzeigt, was gut zu dem Pullover passen würde, den sie gerade anprobiert. Virtuelle Schaufenster erlauben es, auch außerhalb der Öffnungszeiten Waren zu bestellen, die dann nach Hause geliefert werden. Im Lebensmittelmarkt wird mit dem Kassenzettel gleich noch ein Rezept ausgedruckt, das zeigt, was sich aus den eingekauften Zutaten Leckeres zaubern lässt. „Die 3D-Drucker machen es zudem möglich, Produkte noch individueller zu gestalten. Dann können Kunden zusammen mit dem Verkäufer am Laptop ihr Traum-Produkt zusammenstellen. In den USA nutzen Hersteller bereits Automaten, in denen bestimmte Module hinterlegt sind – Kekse in verschiedenen Formen, Farben und Verpackungen beispielsweise. Das kommt dem Trend zu Home- und Selfmade ja gerade entgegen“, freut sich PwC-Partner Gerd Bovensiepen auf den Einkauf der Zukunft.