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Die Digitalisierung der Industrie findet seit Jahren statt – hinter verschlossener Tür. Von einer Revolution sind wir dennoch weit entfernt. Warum? Technologien wie Cloud-Computing, Big Data, Smart Data und das Internet der Dinge sind allgegenwärtig, die nötige Hardware eh. Der feine Unterschied: Die genannten Technologien werden in Zukunft verschmelzen; sich reibungslos in industrielle Lösungen aus der Robotik und Maschinenkommunikation integrieren.

Machen wir uns nichts vor. Die Digitalisierung der Industrie ist nicht nur im vollen Gange; sie ist schon längst Realität. „Intelligente“ Maschinen koordinieren selbstständig Fertigungsprozesse, Service-Roboter kooperieren in der Montage mit Menschen, fahrerlose Transportfahrzeuge fertigen voll automatisiert Aufträge in der Intralogistik ab, Bauteile kommunizieren in der Produktionsanlage miteinander (Ameisenalgorithmus), jedes Bauteil verfügt zudem von Beginn an über eine MAC-Adresse (in vielen Fällen), alle produktbezogenen Informationen stehen direkt an dem jeweiligen Arbeitsplatz digital zur Verfügung und Maschinen veranlassen sogar schon ihre eigene Reparatur: Sprich, von der Idee über die Entwicklung, Fertigung, Nutzung und Wartung bis hin zum Recycling wird in Zukunft die sogenannte „intelligente“ Fabrik alles autark steuern. Wenn ich Zukunft schreibe, denke ich in Zeitabschnitten von zwei bis drei Jahren. Klar ist, nicht alle Unternehmen sind bereit, ihre Digitalisierung voranzutreiben. Klar ist aber auch, so ist meine persönliche Wahrnehmung, es sind die wenigsten.

Digitalisierung in der Industrie; gute Beispiele

Ein gutes Beispiel, dass sich etwas bewegt, ist das Unternehmen ebm-papst, welches seit geraumer Zeit technische Errungenschaften aus Industrie 4.0 übernimmt. Ebenfalls erwähnenswert sind die Beispiele im Ampere-Magazin – Industrie 4.0 – von der Vision zur Wirklichkeit – wir berichteten sowie SEW-Eurodrive aus Bruchsal bei Karlsruhe.

Ein anderes zukunftsträchtiges Projekt beschreibt netkoPs. Ein Konsortium aus Logistikern versucht dabei, „Produktionssysteme intelligent zu vernetzen, den Transport- und Handhabungssystemen die Selbstoptimierung beizubringen und bei der Gestaltung von cyberphysischen Systemmodulen behilflich zu sein“. Faszinierend dabei: Schon die kleinsten Bauteile können „Berge versetzen“ und beschreiben meist eine kleine Revolution. Wohin die Reise geht, zeigten 2015 auch die Redner der Vision-Days in München. Dort markierte damals schon der Geschäftsführer von SEW-Eurodrive, dass bereits an der Werkbank die vernetzte Arbeitswelt beginnt, also „welche technischen Möglichkeiten sich aus der Vernetzung von Werkzeug, Werkstück und Intralogistik ergeben“.

Und bleiben wir doch bei der Logistik. Denn speziell die Extralogistik drückt dahingehend aufs Gaspedal. Der Hamburger Hafen etwa will auf den bestehenden begrenzten Verkehrswegen noch größere Gütermengen umschlagen. Dafür hat man sich starke Player wie SAP und die Deutsche Telekom an Bord geholt. Mittels „Smart Port Logistics“ will man in Zukunft Unternehmen, Partner und Kunden des Hafens enger miteinander vernetzen. Dadurch verspricht man sich zum Beispiel die Bereitstellung von Echtzeit-Informationen zu Frachtaufträgen, zur Verkehrslage sowie zu der Ware selbst. Letzteres wird bereits via RFID-Funk bewerkstelligt. Grundsätzlich soll der Warenfluss optimiert; Staus im Hafen minimiert werden.

Vernetzung ja, aber keine Industrieanlagen

Fallen die Begriffe Industrie und Vernetzung im Kontext, bekomme ich grundsätzlich Bauchschmerzen. Ich zitiere – „Industrie 4.0 setzt auf der Automatisierung auf. Es ist die nächste intelligente Stufe der Weiterentwicklung, bei der es zu einer Vernetzung von Komponenten in den Produktionsanlagen kommt. Zunächst auf dem eigenen Werksgelände. Aber im nächsten Schritt auch über Unternehmensgrenzen hinaus. Es wird künftig möglich, die einzelnen Wertschöpfungspartner miteinander zu verbinden. Das ist das Neue“, sagt Dr. Henrik Hahn, Corporate Strategy Evonik Industries AG, gegenüber dem Verband der Chemischen Industrie.

Speziell die Vernetzung unterschiedlicher Unternehmen wird meines Erachtens nur über klassische ERP-Systeme umsetzbar sein. Die Technik, die Produktion, sie werden niemals mit dem Internet verbunden – zumindest lassen es die derzeitigen Sicherheitsmängel in der IT nicht zu. Denn durch die Digitalisierung der Produktionsmaschinen entstehen in Unternehmen immer mehr Angriffsflächen für Hacker. Allein in Deutschland waren in den vergangenen zwei Jahren 69 Prozent der Industriebetriebe bereits Opfer von Datendiebstahl, Wirtschaftsspionage oder Sabotage. Und letzteres setzt Unternehmen mächtig unter Druck; auch, weil bei den meisten Angriffen die Produktion betroffen ist. Zudem richten sich immer häufiger Attacken auf die Bereiche Lager und Logistik, die IT sowie auf Forschung und Entwicklung – sprich, eine global-tragende Industrie steht ständig unter Beschuss und muss jährlich mit 22 Milliarden Schaden umgehen. Es gilt: die digitale Fabrik als kritische Infrastruktur

Keine Revolution – gute Ideen verändern die Welt

Ich glaube ja mittlerweile, dass es in den nächsten zehn Jahren bei der Digitalisierung technisch gesehen nur wenige Revolutionen eine Rolle spielen werden. Viel spannender finde ich die Veränderungen in den einzelnen Segmenten – als Beispiel sei die Automobilindustrie genannt. Das Szenario, mit dem sich die etablierten Automobilhersteller derzeit konfrontiert sehen, könnte herausfordernder kaum sein. Da sind zum einen neue, kapitalstarke Akteure wie Tesla und Google, die Mobilität und Auto neu denken und auch ohne Konkurrenz machtvoll auf den Markt drängen. Zum zweiten versuchen agile, flexible und kreative Start-ups mit innovativen, digitalbasierten Ideen, an der Wertschöpfungskette rund um die individuelle Mobilität teilzuhaben und besetzen manch zukunftsträchtiges Geschäftsfeld – es muss nicht immer Tesla sein. Zum dritten ändert sich rund um den Globus langsam aber beständig die Einstellung von immer mehr Menschen zum Individualverkehr: Nicht mehr der Besitz eines eigenen Autos ist erstrebenswert, vielmehr wird die eigene Mobilität durch verschiedene Komponenten sichergestellt, etwa Car-Sharing.

Der Weg dorthin wird holprig sein. So prallen zwei Welten aufeinander: Digitale Unternehmen denken groß, starten aber klein. Sie testen sehr schnell Prototypen, lernen zügig und adaptieren entsprechend ihre Lösungen, um so schnell wie möglich eine große Reichweite zu generieren. Bisher standen die Automobilhersteller für das genaue Gegenteil. Der Lebenszyklus eines Modells beträgt im Schnitt rund sieben Jahre. Die traditionellen Autobauer werden sich grundlegend wandeln müssen, um in der neuen Welt erfolgreich zu sein. Statt nur Autos zu verkaufen, müssen sie echte Probleme des Alltags lösen. Dazu zählt etwa, dass Menschen schneller ans Ziel kommen, problemlos einen Parkplatz finden und umweltfreundlicher reisen.

Mein Fazit fällt daher recht nüchtern aus. Die Technik funktioniert, die „intelligente“ Fabrik gibt es schon – zumindest in vielen industriellen Bereichen – und IoT mit samt den anderen smarten Herausforderungen sind schon längst dabei, sich in die Industrie einzufügen. Die Vernetzung nach draußen ist mit Vorsicht zu genießen und der Mittelstand hierzulande sollte nicht mit Unternehmen wie Google verglichen werden. Auf der einen Seite ist es die Welt der Ideen, auf der anderen die Welt der Umsetzung.

Spannend wird sein, wie Unternehmen auf die Veränderungen und technische Herausforderungen reagieren. Was passiert, wenn junge dynamische Unternehmen mit völlig neuen Ideen auf den Markt sprudeln? Was, wenn deren Ideen, deren Ansätze die Welt verändern?