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Wir surfen durch die virtuelle Welt. Wir klicken uns durch die Angebote von Online-Shops, sind in digitalen Datenbanken unterwegs, bewegen uns auf sozialen Plattformen und tauchen ein in die Welten fantastischer Browsergames. Was für eine Dynamik wir da online aufweisen! Und dabei starren wir doch eigentlich nur auf einen Bildschirm und – sitzen. Denn ob auf Bürostühlen, Kantinenhockern, im Auto oder abends auf dem Sofa: einen zu großen Teil unseres Alltags verbringen wir im Sitzen.

Stressabbau durch muskuläre Aktivität ist ein uraltes Prinzip und gehörte für unsere Vorfahren quasi zum Alltag. Geriet der Körper in Stress – etwa weil sich ein gefährliches Tier näherte – setzte man zum Gegenangriff an oder rannte weg.
 
Heutzutage hat man im Alltag, und damit vor allem auch am Arbeitsplatz, weniger mit Mammuts oder Säbelzahntigern zu tun. Doch auch Faktoren wie eine hohe Arbeitsbelastung oder Konflikte mit Kollegen können bekanntlich Stress verursachen. Mit dem Unterschied, dass im Büro weder wegrennen noch körperliche Auseinandersetzungen angesagt sind.
Der Jäger und Sammler, der laut dem Karlsruher Gesundheitsmanagement-Experten Dr. med. Wolfram Pfeiffer immer noch in uns steckt, sitzt also seinen Stress in der Regel aus. Und schadet dabei sich selbst: „Sitzen ist das neue Rauchen“, so Pfeiffer.
 

Laut DKV-Gesundheitsreport 2016 bringen es insbesondere Schreibtischarbeiter auf bis zu 11 Stunden Sitzen am Tag. Der Bewegungsmangel kann weitreichende Folgen haben und das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen oder Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes erhöhen. Hinzu kommen mögliche Beschwerden des Muskel-Skelettsystems und das „Büroaugen-Syndrom“.

Bewegtes Sitzen statt Bewegungsmangel

Wer an seinem Arbeitsplatz viel sitzen muss, sollte zumindest seinen Bildschirm und seinen Schreibtischstuhl ergonomisch einrichten. Dennoch: „Man sagt, die beste Sitzposition ist immer die nächste“, so Jennifer Stößer, Präventionsberaterin bei der Techniker Krankenkasse: „Wenn ich den ganzen Tag in einer Sitzposition verbringe, auch wenn sie ergonomisch ist, tut das nicht gut.“ Auch zwischendurch mal an einem Stehtisch zu arbeiten, sei eine gute Abwechslung. Wichtig ist es laut Stößer im Arbeitsalltag auch, Bewegungsmöglichkeiten immer im Blick zu haben. Auch der Klassiker, die Treppe statt den Aufzug zu nehmen, fällt darunter. Oder: Arbeitsutensilien außerhalb unserer Reichweite zu platzieren. Oder beim Telefonieren umherzugehen.
 
Daniel Ungemach von der Techniker Krankenkasse am Standort Karlsruhe fügt hinzu:
„Es gibt zunehmend ein Umdenken in den Unternehmen, sodass einige auch tatsächlich wollen, dass ihre Mitarbeiter bewegte Pausen einlegen, um wieder produktiv zu sein. In die Gesundheit der Mitarbeiter zu investieren, ist für Unternehmen auch eine strategische Entscheidung. Und kann gerade in Zeiten des Fachkräftemangels ein Wettbewerbsfaktor sein.“
 
Ein Beispiel für ein solches umdenkendes Unternehmen ist die PTV Group: im Headquarter in Karlsruhe ist vor kurzem ein neuer „Campus“ entstanden, eine zentrale Arbeitsfläche, auf der Mitarbeiter im Stehen, Sitzen oder auf freier Fläche arbeiten und sich austauschen können. „Damit hat man neben dem Schreibtisch noch andere Flächen zum Arbeiten zur Verfügung. Das bringt mehr Abwechslung und fördert die Bewegung“, so Kristina Stifter, Head of Global Communications und fügt hinzu: „Anfangs war beim PTV Campus noch Skepsis zu spüren. Inzwischen ist er beliebter und sehr gut frequentierter zentraler Treffpunkt, den keiner mehr missen möchte.“ Zusätzlich zum „Campus“ können die PTV-Mitarbeiter in ihren Büros an höhenverstellbaren Schreibtischen arbeiten und nach der Arbeitszeit oder in den Pausen das firmeneigene Fitnessstudio nutzen.

 

Kein Bewegungsmangel am PTV Campus
Bild: Andrea Fabry / PTV Group

Gesundes Arbeiten: nicht (nur) Sache des Arbeitgebers

Laut Dr. Pfeiffer, der mit seinem Unternehmen Praeveneo Firmen zum Gesundheitsmanagement berät, sind höhenverstellbare Schreibtische aber sekundär, solange man muskulär gut trainiert ist: „Wenig Bewegung bewirkt schon wahnsinnig viel. Es ist schon ausreichend, 20 Minuten täglich in flottem Tempo zu gehen. Und ein Spaziergang regt ja nicht nur den Kreislauf an, sondern auch den Kopf.“ Als ideal betrachtet Pfeiffer einen Bewegungsmix aus Ausdauertraining, Kraftübungen sowie Flexibilitäts- und Gymnastikeinheiten. „Früher war Sport ein Luxus der Reichen. Heute ist er für jeden eine Notwendigkeit, um für Ausgleich zu sorgen“, so Pfeiffer. Denn letztendlich gelte: „Muscle and brain – use it or lose it“.